Pinien sind stumme Zeugen
geschäftsmäßig.
»Zweihunderttausend Dollar«, erwidert die mutmaßliche Italienerin, als handle es sich um eine Lappalie.
»Darf ich Sie fragen, wie Sie auf mich kommen, Madame?«
»Durch Zufall«, entgegnet die Kundin lachend. »Auf irgendeiner Party hat mir irgendwer Ihr Haus besonders empfohlen. Ich könnte Ihnen nicht einmal mehr sagen, wer es war – es handelte sich um ein Risikopapier, das Sie ihm vermittelt hatten.«
Genterli nickt bedächtig, überlegt, um wen es sich handeln könnte. Es ist zwecklos; er hat offensichtlich vielen Kunden mit Erfolg Risikopapiere verkauft und einigen auch mit Mißerfolg.
»Und dann – verzeihen Sie bitte«, setzt die Besucherin mit maliziösem Lächeln hinzu, »habe ich im Unterschriften-Aushang in der Schalterhalle Ihren Namen gelesen. Und da Sie der Ranghöchste sind …« Sie öffnet ihre Handtasche, entnimmt ihr zwei dicke, banderolierte Geldbündel und deponiert sie auf dem Schreibtisch Genterlis, der zu seiner Erleichterung mit dem ersten Blick feststellt, daß es sich um Tausend-Dollar-Noten handelt (und Lardos in dieser Höhe sind bisher noch nicht aufgetaucht). Es ist kaum zu erwarten; Falschmünzer bevorzugen der Unauffälligkeit wegen kleinere Scheine.
Der Bankdirektor zählt den Betrag mit kundigen Fingern durch, errechnet die Frankensumme. »Sie wollen den ganzen Betrag in bar ausbezahlt haben, Madame?« fragt er dann.
»Dieses Mal«, erwidert sie. »Bei meinem nächsten Besuch in etwa vierzehn Tagen müssen wir dann über eine günstige Kapitalanlage sprechen.«
Der Wunsch eines Bankkunden ist Befehl. Keine Frage nach dem Woher und Wohin. Keine Warnung davor, rund achthunderttausend Schweizer Franken in der hübschen Tasche von Valentino herumzutragen. Ohnedies nimmt Genterli aus Erfahrung an, daß die herrlich gewachsene Schöne nicht die Besitzerin dieser großen Summe ist, sondern vielleicht die Geliebte, die Tochter oder die Ehefrau des wirklichen Eigentümers, der hier nicht gesehen werden will, weil die Dollars mit Sicherheit – entgegen den Devisenbestimmungen – illegal ausgeführt wurden.
»Falsch«, sagt die attraktive Nobelkundin. »Das Geld gehört weder meinem Mann noch meinem Liebhaber, sondern unserer Familie. Wir haben unser Landgut an einen Amerikaner verkauft. Diesen Teilbetrag in Dollars habe ich heute in der Schweiz übernommen.«
Sie braucht nicht mehr zu erklären: Kein Mensch verkauft in Italien Grundbesitz gegen wertlose Lire. Die meisten Geschäfte werden ›sotto la tavola‹ abgewickelt, unter dem Tisch. Ein Scheinbetrag wird verbucht, die echte Summe aber in harter Währung schwarz bezahlt.
»Madame sind Italienerin?« fragt der Direktor.
»Erraten.«
»Sie sprechen sehr gut Deutsch.«
»Ich wurde auch in einem Schweizer Internat erzogen«, behauptet die Dame mit dem perfekten Make-up und der Arroganz der Besitzenden. Männliche Witterung sagt Genterli, daß sie verführbar, doch unbezahlbar sein könnte. Einladung zum Abendessen? überlegt er. Sicher zwecklos. Und wenn man ihn mit diesem Prachtstück in der Öffentlichkeit sieht, erfährt es seine fünfzehn Jahre ältere und fünfzehn Kilo gewichtigere Frau spätestens am nächsten Morgen. Sicher gibt es auch versteckte Etablissements für solche Fälle; bei so viel Geld floriert auch der Geschlechtstrieb (nur wer arm ist, bleibt auch treu); aber für eine Dame von Welt und Geld wäre ein solcher Schlupfwinkel, zumindest am ersten Abend, unzumutbar.
Der Kassierer mit der Geldtasche erlöst den Bankdirektor von entsagenden Impressionen; er zählt die großen Scheine pedantisch und mit lauter Stimme vor, während die mondäne Italienerin uninteressiert aus dem Fenster sieht.
Der Kassierer geht. Die Besucherin erhebt sich und zögert einen Moment lang, als müsse sie sich überlegen, dem Bankdirektor die Hand zu reichen. Sie entschließt sich dazu und quittiert seinen Abschiedsgruß mit einem flüchtigen Lächeln. Sie geht, aber ihr Parfüm bleibt im Raum zurück, ein verwirrendes, sicher individuell hergestelltes Duftwasser.
Jakob Genterli tritt ans Fenster und verfolgt, wie die Besucherin in ein Taxi steigt. Für Banker der Stadt des Reformators Zwingli, für die Gnome von Zürich, ist ein Wechselgeschäft dieser Art alltäglich, aber der Direktor der ›Nobis‹-Bank veranlaßt etwas völlig Unübliches: Er läßt die Nummern der Tausend-Dollar-Scheine notieren.
Dann ruft er Frank Gellert in Bern an und erhält seine derzeitige Telefonnummer in Ascona.
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