Pirat des Herzens
hochwohlgeborene Graf von Desmond, würde seine Tochter bereitwillig mit Shane O’Neills Sohn verheiraten.
Liam fragte sich nur, was Gerald sich von ihm als Schwiegersohn versprach. Hoffte er, dadurch aus Southwark fliehen zu können wie vor zwei Jahren, als er den Kapitän bestach, der ihn dann aber doch verriet? Nur ein Narr macht zweimal den gleichen Fehler. Gerald hatte Größeres im Sinn, als nur seinem Gefängnis zu entfliehen, vermutete Liam.
Wollte er sich Liams Herrschaft zur See nutzbar machen? Um seinen Cousin FitzMaurice zu vernichten? Er, Liam, könnte mit Leichtigkeit die spanischen und französischen Schiffe kapern, die den irischen Rebellenführer mit Waffen und Munition versorgten. Doch das allein konnte FitzGerald nichts nützen, er würde weiterhin ein Gefangener im Exil sein, der Desmond für immer verloren hatte. Damit würde FitzMaurice nur empfindlich geschwächt.
Was versprach Gerald sich also von einem Bündnis mit dem Mann, den die Welt zum Herrn der Meere gestempelt hatte?
Ein Gedanke begann in Liams Kopf Gestalt anzunehmen. Er richtete sich auf, warf Katherine einen durchdringenden Blick zu. Nur nichts überstürzen, mahnte er sich. Katherine gehörte ihm. Und wenn er es wagte, das Undenkbare zu denken, das Unmögliche zu tun, konnte er seine Geliebte noch immer zu seiner Ehefrau machen.
Eigentlich handelte er nur in ihrem Interesse. Durfte er zulassen, daß sie nach Irland zurückkehrte und um Brot bettelte wie andere vertriebene Kriegsopfer? Sie brauchte seinen Schutz, sie brauchte ihn. Und irgendwann würde sie glücklich sein mit ihm, wie alle anderen Frauen glücklich mit ihm waren. Dafür wollte er Sorge tragen. Er würde sie im Bett befriedigen und sie mit Reichtümern und Luxus überhäufen.
Katherine erwiderte seinen Blick haßerfüllt. Ihre Augen blitzten grün vor Groll und Trotz. Liam empfand eine Welle des Mitleids für seine Gefangene. Nur zu gut konnte er das Gefühl nachempfinden, wenn einem alles genommen wird, wenn man der hilflose, unschuldige Spielball der Mächtigen ist. Er hatte es am eigenen Leib zu spüren bekommen an jenem Unglückstag vor sechzehn Jahren, als Shane O’Neill plötzlich in seinem Leben auftauchte und es für immer veränderte.
Essex 1551
Der Knabe hörte das Geschrei und schlich zum Fenster. Als er das Weinen seiner Mutter vernahm, wuchs seine Angst. Er spähte nach draußen.
Vor Schreck stockte ihm der Atem. Im Hof waren etwa ein Dutzend Reiter versammelt. Kräftige Kerle in Bärenfellen mit alten Eisenschilden auf dem Rücken. Ihre Schädel waren rasiert, am Gürtel hingen riesige Schwerter. Unter den Pelzen trugen sie grobe Wolltuniken, ihre Beine und Füße waren nackt. Der Knabe hatte noch nie solche wilden, fremdartigen Männer gesehen.
»Das dürft Ihr nicht tun, Shane!« flehte seine Mutter.
Mary Stanley war eine blonde, zierliche Frau mit feinen Gesichtszügen und vornehmer Haltung, die sich elegant zu kleiden wußte. Ihre grauen Augen waren angstvoll geweitet. Der Knabe stieß einen spitzen Schrei aus, als der bärtige Fremde mit dem verfilzten Haar den Arm hob. »Genug, Weib!« schrie Shane und schlug zu.
Die Mutter des Knaben sank wimmernd zu Boden.
Der Knabe rannte schreiend aus dem Haus, ohne darauf zu achten, daß er nicht einmal eine Waffe trug, um seine Mutter zu verteidigen. »Aufhören!« schrie er und stürzte sich auf den fremden Riesen.
»Zum Teufel, was ist das denn?« Shane O’Neill war viermal größer als das Kind und versetzte ihm einen Schlag wie mit einer Fliegenpatsche. Der Knabe taumelte neben seiner Mutter in den Staub. Sie zog ihn verzweifelt in die Arme, ihr Gesicht weiß vor Angst, ihre Augen schwammen in Tränen. Er aber wollte nicht ihren Schutz - er wollte sie beschützen. Er entwand sich ihren Armen und stand auf. Shane bückte sich, hob ihn am Kragen seines Samtwamses hoch und hielt den Strampelnden von sich.
»Das soll mein Sohn sein?« fragte er in die Runde seiner Männer. »Ein englischer Lackaffe?«
Liam hörte auf, sich zu wehren. Es war sinnlos, sich gegen den Grobian aufzulehnen, diesen Shane O’Neill, den Vater, den er nie gesehen hatte, den Mann, der seiner Mutter Gewalt angetan hatte, vor vielen Jahren. Mary hatte Liam nie die Wahrheit gesagt, aber er hatte die Geschichte oft genug gehört, denn man tuschelte über ihn und seine Mutter hinter seinem Rücken, seit Mary von der Königinwitwe Catherine Parr bei Hofe aufgenommen wurde.
Die irischen Krieger feixten beim Anblick des
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