Pirat des Herzens
Außenseiter und Bastard war, der von anderen Kindern grausam verhöhnt und gehänselt wurde. Liam sah, wie Katherine sich die Augen mit einem Zipfel ihres Umhangs wischte, und redete sich ein, daß es ihn nicht berühre.
Mitgefühl an sich war gefährlich, brach nur alte, längst verheilte Wunden wieder auf.
Liam führte sie zu seinem Vollbluthengst. In ihrem aufgewühlten Zustand konnte sie nicht selbst reiten.
Plötzlich weigerte sie sich weiterzugehen, fuhr zu ihm herum und funkelte ihn an: »Ich reite nicht mit Euch, O’Neill!«
»Ihr seid nicht in der Verfassung, allein zu reiten«, entgegnete er.
Tränen liefen ihr übers Gesicht. »Ich reite nicht mit Euch«, beharrte sie eigensinnig, wand sich aus seinem Arm, rannte zu ihrem Pferd, das Macgregor am Zügel hielt, und kletterte trotz ihrer hinderlichen Röcke ohne Hilfe in den Sattel.
»Könnt Ihr wirklich allein reiten?« fragte er leise.
Sie schaute ihn feindselig an, als habe er ihre Liebe und ihr Vertrauen verraten.
Mit einem heftigen Ruck riß sie die Zügel herum, drückte dem Pferd die Absätze in die Flanken und galoppierte durch das Tor.
Liam sprang aufs Pferd und nahm die Verfolgung auf. Bald hatte er sie eingeholt, beugte sich im vollen Galopp aus dem Sattel und packte ihre Zügel. Beide Pferde fielen in einen leichten Trab.
Hinter Katherine leuchtete die Morgenröte und tauchte ihr Haar, das sich aus der Haube gelöst hatte, in flammendes Rot. Ihre Schönheit raubte Liam den Atem, ihr Mut erstaunte ihn. Was für eine ungewöhnliche Frau.
»Ich lasse nicht zu, daß Ihr flieht, Katherine.«
Sie war bleich und wütend, immer noch schwammen ihre Augen in Tränen. »Ihr könnt mich nicht hindern, es zu versuchen!«
Er behielt die Zügel ihres Pferdes in der Hand. Wenn sie sich etwas beruhigt hatte, würde sie vernünftig werden und sich damit abfinden, daß sie bei ihm bleiben mußte.
Aber es nagte ein Gefühl der Schuld an ihm, sie gegen ihren Willen festzuhalten. Noch nie hatte sich ihm eine Frau widersetzt.
Immer wieder warf er Seitenblicke zu Katherine hinüber, als sie über die London Bridge ritten, vorbei an Eselskarren und Passanten mit schweren Bündeln auf dem Rücken.
Er hatte noch nie versucht, eine Jungfrau zu verführen.
Liam dachte an Hugh Barry, ihren Verlobten, der noch am Leben war. Wilder Zorn stieg in ihm auf. Um nichts in der Welt würde er sie freilassen, damit sie zu Barry zurückkehrte.
Liam hatte sie vom ersten Augenblick an begehrt, und er war nie in seinem Leben geduldiger gewesen. Früher oder später würde sie ihm gehören - auch wenn Hugh Barry noch lebte. Er war jetzt ihr Beschützer. Er ganz allein.
Sie erwiderte seinen Blick mit trotzig vorgerecktem Kinn. Sie würde nicht so schnell aufgeben. Sie war eine Kämpferin. Er mußte den Fehdehandschuh aufheben, den sie ihm zugeworfen hatte. Aber er konnte sie nicht bekämpfen wie einen Feind. Er wollte sie zähmen, verführen, gewinnen.
Denn er war nicht wie sein Vater, wie Gerald FitzGerald behauptet hatte. Shane O’Neill hätte das Mädchen längst genommen, wäre ihrer bereits überdrüssig geworden und hätte sie seinen Männern überlassen. Und Shane O’Neill hätten keine Gewissensbisse geplagt.
Auch in Liams Leben war kein Platz für Gewissensbisse.
Männer, die ihre Siege mit Schwert und Kanonen errangen, schafften dies ausschließlich, weil sie kein Gewissen hatten. Sein Leben war ein ständiger Kampf. Sieg bedeutete Überleben. Und dem Sieger winkte die Beute. Katherine FitzGerald war nichts weiter als ein Beutestück.
Gerald FitzGeralds Angebot, ihm Katherine zur Gemahlin zu geben, schien ihm ein ähnlich grausamer Scherz wie damals die Scherze, denen er von den Söhnen der Adeligen bei Hofe ausgesetzt war. Bei Gott, er brauchte keine Ehefrau. Er brauchte keine Söhne. Er hatte sich vorgenommen, keine Kinder in die Welt zu setzen. Dann würde der Hohn seiner Existenz mit ihm enden, er würde keine Schmach auf einen Sohn übertragen.
Liam sah ihr entsetztes Gesicht vor sich, als Gerald sie ihm als Gemahlin angeboten hatte.
Er hatte zwar keine Verwendung für eine Ehefrau, er wollte keine Kinder, doch der Gedanke, Katherine FitzGerald zum Traualtar zu führen, reizte Liam über die Maßen. Es war absurd und undenkbar, daß ein Pirat, ein Außenseiter der Gesellschaft, eine edle und vornehme Dame heiratete.
Liam flüchtete sich in Zynismus. Wie bedenkenlos Ohnmacht sich mit Macht zu verbünden sucht, dachte er. Fitz-Gerald, einst der
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