Piratenblut
hingen an den Lippen des langsam zu sich kommenden Ojo.
»Demonio«, brummte er, »was habe ich für Kopfschmerzen! Und was für verrücktes Zeug habe
ich geträumt!«
»Was denn?« fragte Jardín mit sanfter Stimme.
»Ich habe alle Soldaten totgeschlagen, die uns gestern verfolgten. Ein entsetzlicher Traum.« Er blickte sich um. Er sah keine Leichen und atmete befreit auf.
»Hm«, sagte Michel. »Erzähl mal genau, was du geträumt hast.«
Ojo griff sich an den Kopf und stöhnte. Und dann berichtete er die Einzelheiten seines Kampfes. Plötzlich unterbrach er sich mit einem Aufschrei. Sein Blick war auf Roach gefallen. Die Soldaten, die ihren Kameraden begruben, befanden sich in seinem Rücken. »Das ist er ja«, rief er und schnellte hoch.
Roach, der nichts anderes dachte, als daß Ojo sich jetzt auf ihn stürzen würde, nahm eines der umherliegenden Gewehre auf, legte an, zielte und drückte ab. Es gab nur einen kurzen Knack. Entweder war kein Pulver auf der Pfanne, oder es war feucht geworden. Michel fuhr herum und stand mit zwei Schritten neben ihm.
»Seid Ihr verrrückt?« Er holte aus und versetzte ihn mit einem Faustschlag ins Land der Träume. »Ich habe einen Vorschlag«, sagte Fernando, »wie wir den Kerl am schnellsten loswerden. Wir setzen ihn auf ein Pferd, binden ihm die Füße zusammen und jagen ihn davon. Später, wenn er uns nicht mehr gefährlich werden kann, mag er sich die Fesseln wieder abbinden.«
Michel zögerte noch mit seiner Zustimmung, aber Fernando und Jardín gingen sofort an die Ausführung des Vorhabens. Sie wählten ein ausgeruhtes Pferd aus. Und als der bewußtlose Roach darauf festgebunden war, zog Fernando dem Tier die Peitsche über, daß es mit einem hellen Wiehern davonstob. »Den sind wir los.«
»Diaz«, sagte Michel zu Ojo, »du hast sie also wirklich alle erschlagen, einen ganzen Zug bewaffneter Soldaten allein erschlagen?«
»Sí, Señor Doktor. Ich wollte es nicht.« Er brach in Schluchzen aus, das seinen ganzen Körper erschütterte. »Nein, ich wollte es nicht, bestimmt nicht. Heilige Mutter Gottes, vergib mir.« Es dauerte lange, bis ihn die anderen beruhigt hatten.
»Wir wollen aufbrechen«, sagte Michel. »Marina hat fast einen ganzen Tag Vorsprung. Die Gefahr ist beseitigt. Wir werden ja nun endlich unangefochten unsere Schiffe erreichen können.« Den beiden Soldaten gaben sie zwei Pferde und etwas Geld und machten ihnen klar, daß sie sich allein nach Kalkutta durchschlagen müßten.
»Vielleicht holt ihr euern Oberleutnant ein«, sagte Michel. »Dann richtet ihm aus, daß Menschenjagd ein Verbrechen ist. Und Verbrechen machen sich nicht bezahlt.«
Ein paar Tage später feierten sie Wiedersehen auf der »Trueno«. Alle hatten sich wohlbehalten eingefunden. Die Schiffe setzten am nächsten Morgen die Segel. Die Fahnen wehten über den Toppen. Marina hatte die der »Trueno« auf Halbmast setzen lassen.
»Zum Gedenken an Richard Stineway«, sagte sie ernst, »den tapferen Zeitungsmann.« —
33
Die Banda-Inseln sind ein kleiner Archipel, der in der Banda-See zwischen 3° 50' östlicher Länge und 4° 40' südlicher Breite liegt. Zu diesem Archipel gehören die Hauptinseln Lontor, die auch Großbanda genannt wird, und Neira oder auch einfach nur Banda, ferner die kleinen, teilweise unbewohnten Inseln Run, Ai, Resengain, Gunung-Api und ein paar ganz kleine ohne jegliche Bedeutung. Alle Eilande bestehen aus vulkanischem Gestein, manche erheben sich hoch über den Meeresspiegel und weisen fast durchweg schroff abfallende Steilküsten auf. Häufig treten hier, wie auf allen Inseln Ozeaniens oder der Südsee, schwere Erdbeben auf, die zuweilen die ganze Gestalt der Insel verändern.
An sich sind diese Inseln ganz unwichtige Landteilchen unserer Erde. Aber es gab eine Zeit, da wurden Kriege um ihren Besitz geführt, Mord und Totschlag, blutige Fehden und Grausamkeiten waren gang und gäbe.
Das hatte seinen besonderen Grund. Der größte Reichtum der Banda-Inseln sind nämlich die Muskatnußbäume. Einst mußte alle Welt die Muskatnüsse von dort beziehen. Die
Niederländische Ostindien-Kompanie hatte das Monopol darauf und rottete in ihrem Bereich sogar Muskatnußbäume aus, um die Weltmarktpreise hochzutreiben.
Die Banda-Inseln wurden im Jahre 1511 von den Portugiesen entdeckt. Aber schon 1599 nahmen die Niederländer davon Besitz. Zehn Jahre später begann Coen, die etwa
fünfzehntausend Eingeborenen der Inselgruppe blutig und grausam auszurotten.
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