Piratenbraut
sich in der Tat nicht ausdenken.« Das habe ich mir allerdings auch oft gedacht in den vergangenen hundert Tagen! Vielleicht sollte ich das mal schnell retweeten?
Ach richtig, hundert Tage Piratenpartei. Was ich persönlich bisher erreicht habe?
Ich bin twittersüchtig geworden. Viele Piraten nutzen diese Palaver-Plattform exzessiv. Und wenn ich nichts verpassen und wahrgenommen werden will, muss auch ich regelmäßig bei Twitter reinlesen und mich wenigstens gelegentlich zu Wort melden. Ob das ein Erfolg ist, sollen andere bewerten. Immerhin 32 Personen haben inzwischen meinen Twitter-Feed abonniert – vor hundert Tagen waren es sieben. Das ist ein Plus von mehr als 400 Prozent. Einerseits. Andererseits sind 32 Follower natürlich ein Witz, verglichen mit den 33.132 Leuten, die sich für die Tweets der Parteiikone Marina Weisband interessieren.
Auch außerhalb des Netzes ist meine Erfolgsbilanz bisher übersichtlich. Ich habe vor dem Kanzleramt gegen das Betreuungsgeld demonstriert, was außer mir niemand mitbekommen hat. Ich habe an einem Sonntag im August rund drei Stunden am Infostand meiner Crew im Berliner Osten herumgestanden, was in dieser Zeit exakt zwei übernächtigte Klubgänger und einen weiteren Passanten interessierte, der sich einen Flyer schnappte und wieder weg war.
Auch mein Vorstoß zur Professionalisierung der Arbeit in der Parteizentrale der Piraten ist bisher leider folgenlos geblieben. An einem Juliabend bei einer Squad-Sitzung hatte ich das Wort ergriffen: »Findet ihr nicht, dass ihr endlich eine Spülmaschine braucht und eine Putzkraft, die regelmäßig kommt?« Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl dürften sich die Piraten doch nicht mit Abspülen und Kloputzen aufhalten.
Wuerfel aus dem P9-Squad schaute mich verwundert an. Es komme doch schon einmal die Woche jemand zum Putzen, hielt er mir entgegen, und wenn zwischendurch ein Klo verschmutze, dann müssten wir das eben mal selbst reinigen. Wieso, fragte ich zurück, könne denn nicht täglich eine Reinigungskraft kommen? »Ich werde hier jedenfalls nicht das Klo putzen.« Der Landtagsabgeordnete Martin Delius, der zufällig auch an der Sitzung teilnahm, hörte mit amüsierter Miene zu. Nach der Sitzung gab er mir ein paar aufmunternde Worte mit auf den Heimweg: Ich solle mich unbedingt weiter hier in der Parteizentrale engagieren.
Doch einige Tage später stellte ich zufällig fest: Mein Appell hatte es nicht einmal ins Sitzungsprotokoll geschafft. Dort stand stattdessen nur: »Ralf hat Hunger. Astrid hat noch Fragen zur Professionalisierung. Ende: 20:12 Uhr.«
Seit Wochen drängen mich meine Freunde: Ich solle bei den Piraten unbedingt mehr provozieren. Ich müsse mutiger werden, an meine Grenzen gehen, mich mal so richtig zoffen. Sonst werde nie etwas aus mir in dieser Partei.
Ja, vielleicht bin ich tatsächlich zu schüchtern, versuche nicht hartnäckig genug, die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen und andere für mich zu begeistern. Provozieren liegt mir nicht. Streit belastet mich. Ich mag es eher friedlich. Zumal Grenzgänge, Provokationen und Streitereien ja alles andere als Alleinstellungsmerkmale in der Piratenpartei sind.
Enno Park, der Berliner Landesschatzmeister, stellte kürzlich in einem Anflug von Verzweiflung auf Twitter die Frage: »Kann eine ganze Partei ADHS haben?« Ich würde nach hundert Tagen antworten: Ja, das ist leider möglich!
Ständig gehen Parteimitglieder aufeinander los, als gebe es kein Morgen. Der Ton der Debatten wird schnell ätzend, abschätzig und hysterisch. Anfangs hatte ich den Ehrgeiz, möglichst keine der Debatten meiner Parteifreunde zu verpassen, ja, ich schaltete mich sogar entrüstet in die Auseinandersetzung um die »Tittenbonus«-Äußerung des Berliner Piratenabgeordneten Gerwald Claus-Brunner ein. Inzwischen würde mir das kaum noch passieren. Aufreger und vermeintliche Aufreger folgen einander in so kurzem Zeittakt, dass ich die Lust verliere, meine Zeit mit diesen Zwistigkeiten zu vertun. Oder, mal positiv formuliert: Seit ich Piratin bin, kommt mir mein Privatleben so harmonisch vor wie lange nicht mehr.
Und natürlich macht der permanente öffentliche Zoff unter Piraten das Parteileben für einen Neuling wie mich auch spannend. Wäre ich in die CDU eingetreten, hätte ich aus der Zeitung erfahren, was Angela Merkel dem FDP- Vizekanzler Philipp Rösler angeblich in der Koalitionsrunde mal wieder so alles an den Kopf geworfen hat. Wenn überhaupt. Bei den Piraten
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