Piratenbraut
halt, wenn man die Basis entscheiden lasse. Allerdings versuche normalerweise eine Programmredaktion, die Anträge möglichst stimmig einzupassen.
Ich stellte mir vor, wie neben den bis aufs letzte Komma ausgefeilten Broschüren der anderen Parteien in ein paar Monaten das wilde Ideenpotpourri der Piratenpartei liegen würde. Stilistisches Patchwork, mit ein paar sozialen Forderungen hier, ein paar wirtschaftsliberalen Ideen dort, utopistischen Einsprengseln zwischendrin und Kuriositäten ohne Ende. Welchen Wähler sollte das denn überzeugen?
Annika und Philipp hatten andere Sorgen. Es dauerte eine Weile, bis ich verstand: Sie waren nicht nur gekommen, um mir Nachhilfe im Antragschreiben zu geben und mich dabei zu unterstützen, den halb fertigen Forderungskatalog in Form zu bringen. Es ging ihnen auch um die Sache: Aus meiner kleinen Elterngeldinitiative sollte ein umfangreicher familienpolitischer Antrag fürs Wahlprogramm werden – bestehend aus einer Präambel, einem Abschnitt zu Teilzeitarbeit und Kinderbetreuung, meiner Elterngeldreform und der Forderung, das Ehegattensplitting abzuschaffen.
Doch offensichtlich erschien ihnen mein Papier auch inhaltlich noch verbesserbar. Ich hätte es ahnen können, denn auch die Reaktionen von der Mailingliste des »Kegelklub« waren ja längst nicht nur positiv gewesen. Im Gegenteil, es gab auch heftige Kritik – inklusive der Forderung, den Begriff »Väter« darin zu »neutralisieren«.
Annika und Philipp redeten nicht lange herum. Ehe ich mich versah, nahmen sie sich meinen Antragstext vor. Vokabeln verschwanden und wurden durch andere ersetzt, ganz so, wie dieser Incredibul es auf der Mailingliste angeregt hatte: Aus Müttern und Vätern, Männern und Frauen wurden Eltern, Partnerinnen und Partner oder bezugsberechtigte Personen, gerne begleitet von dem Hinweis, alle Regelungen sollten natürlich für Menschen jeden Geschlechts gelten. Nicht lange, und die Präambel meines Antrags in ihrer bisherigen Form hatte sich verflüchtigt.
Ich leistete keinen Widerstand. Wieso auch? Es war ja nur die Präambel, und die beiden kannten sich zweifellos besser aus als ich.
Wenig später gaben Annika und Philipp mir auf ihre stets freundliche Art zu verstehen, dass auch mein Elterngeldmodell optimierbar sei. Genau wie Incredibul missfiel ihnen die Formulierung, dass »beide« Partner mindestens vier Monate beruflich aussetzen sollten. Schließlich müsse das Elterngeld doch auch mehr als zwei Personen zustehen können.
Da konnte ich Incredibul, Annika und Philipp eigentlich nur recht geben: Sie hatten eine Schwachstelle erkannt. Mein Antragstext wurde vielen Patchworkfamilien in diesem Land nicht gerecht.
Während ich noch versuchte, mir ein passendes, alternatives Elterngeldmodell auszudenken, war Philipp schon weiter. Er spielte im Kopf durch, was es finanziell bedeuten würde, wenn sich eine Million Menschen das Elterngeld für ein Kind teilen würden. So schnell wie er als Mathematiker die Kuchendiagramme immer wieder neu in x-beliebig viele Stücke zerlegte, konnte ich vor meinem inneren Auge nicht einmal den Tortenring aufstellen. Mir war nur eins klar: So eine eine-Million-und-eins-köpfige Familie wäre zweifellos eine innovative Konstellation.
Nur fragte ich mich langsam: Was hatten diese Rechenspiele noch mit meiner ursprünglichen Idee zu tun? In Gedanken standen bereits mein halber Freundeskreis, unsere Nachbarn aus dem ersten Stock, zwei Onkels, drei Tanten und diverse Babysitter vor unserer Wohnungstür Schlange, weil sie gerne ein paar Tage bezahlte Elternzeit für meine Tochter nehmen wollten. Ohne Frage, so ein Modell wäre eine gesellige Sache. Nur hätte mein Baby vermutlich etwas dagegen.
Eigentlich wollte ich ja auch gar keine Experimente mit neuartigen Familienstrukturen fördern, sondern lediglich ein paar Männer in diesem Land dazu bringen, etwas mehr Zeit für ihre Familien abzuzwacken – und natürlich ein paar Leuten, die vielleicht ähnlich denken wie ich, einen zusätzlichen Grund geben, meine Partei zu wählen. Andererseits wurde mir zusehends klar: Meine Neue-Väter-Politik passte kaum zu der von den beiden mitkonzipierten Zielsetzung der Piraten, das Mann-Frau-Konzept zu überwinden.
Was für Familienkonstellationen mit mehr als drei Elterngeldbeziehern eigentlich denkbar seien, fragte ich vorsichtig bei Annika und Philipp nach. Es könne doch sein, erläuterte Annika mir geduldig, dass der Vater des Kindes nebenher noch eine Beziehung
Weitere Kostenlose Bücher