Piratenmond - Wooding, C: Piratenmond - Retribution Falls
ausgedehnten Landvorsprung über dem stillen, schwarzen See angelegt worden, der die Sohle des kargen Gebirgstals füllte. Es war ein wilder, trostloser Ort, aber Jez hatte schon viele von dieser Sorte gesehen. Abgelegene kleine Häfen, versteckt von der Welt, lediglich aus der Luft zugänglich. Es gab Tausende von Städten wie Scarwater, von denen die Marine keine Notiz nahm und die von ehrlichen Händlern und Schmugglern gleichermaßen frequentiert wurden.
Ursprünglich war Scarwater zweifellos einmal ein Rastplatz oder eine Poststation gewesen. Ein Punkt auf der Landkarte, geschützt vor den tückischen örtlichen Winden, mit einer gut zugänglichen Wasserquelle in der Nähe. Langsam wuchs er, wucherte in die Breite und in die Höhe, als sich
die Nachricht herumsprach. Glücksritter, die eine Nische entdeckt hatten, trafen ein. Jemand dachte sich, dass diese Reisenden ein Wirtshaus brauchen würden, um ihren Durst zu stillen. Die Trinker würden einen Arzt brauchen, der ihre Verletzungen versorgte, wenn sie von einer Mauer segelten. Und sie würden jemanden brauchen, der ihnen ein gutes Frühstück zubereitete, wenn sie aufwachten. In den Großstädten wurden die meisten wichtigen Berufe von den Gilden streng reguliert, aber hier draußen konnte jemand als Zimmermann, Bäcker oder Schiffbauer arbeiten, ohne jemand anderem verantwortlich zu sein als sich selbst.
Doch wo es Geld zu verdienen gab, gab es auch Verbrecher. Es dauerte nicht lange, bis ein Ort wie Scarwater von innen heraus verfaulte. Jez war erst eine Woche hier, seit sie aus ihrem letzten Job ausgeschieden war, aber sie hatte schon genug gesehen, um zu wissen, wie es enden würde. Bald würden die ehrlichen Leute abzuwandern beginnen, vertrieben von den Gangs, und die Übriggebliebenen würden sich gegenseitig fertigmachen und dann weiterziehen. Sie würden eine Geisterstadt wie all die anderen Geisterstädte zurücklassen, heimgesucht von aufgegebenen Träumen und vertanen Möglichkeiten.
Links von ihr kroch Scarwater vom See aus den steinigen Hang empor. Schmale Gassen und gewundene Treppen schlängelten sich zwischen schlichten rechteckigen Gebäuden hindurch, die überall dort, wo genug Platz war, in Gruppen beieinander standen. Oberirdische Rohrleitungsnetze zogen sich in gerader Linie über die Straßen; sie dampften ein wenig in der kalten Morgenluft und bildeten eine Art Gerüst für den Wirrwarr darunter. Überfallkommandos riesiger schwarzer Räubervögel versammelten sich auf ihnen und hielten Ausschau nach Beute.
Das ist nicht der richtige Ort für mich, dachte sie. Aber welcher war das schon?
Auf der Landebahn vor ihnen standen zwei kleine Jäger: eine Caybery Firecrow und eine umgebaute Skylance der J-Klasse. Malvery führte Jez zu der Skylance, die näher bei ihnen stand. An ihrer Flanke lehnte ein Mann, der eine Selbstgedrehte rauchte und reichlich mitgenommen aussah. Jez nahm an, dass er der Pilot war.
»Pinn!«, brüllte Malvery. Der Pilot zuckte zusammen. »Da ist jemand, den du kennenlernen solltest.«
Pinn drückte die Zigarette aus, als sie näher kamen, und streckte Jez eine Hand hin. Er war klein, stämmig und dunkelhäutig, mit einem formlosen Schopf schwarzer Haare und Pausbacken, die seine Augen verschwinden ließen, als er ein gequältes Begrüßungslächeln zustande brachte. Er konnte nicht älter als zwanzig sein, jung für einen Piloten.
»Artis Pinn, das ist Jezibeth Kyte«, sagte Malvery. »Unsere neue Navigatorin.«
»Jez«, verbesserte sie. »Jezibeth hab ich noch nie leiden können.«
Pinn musterte sie von oben bis unten. »Wird nett sein, eine Frau an Bord zu haben«, sagte er. Seine Stimme war tief und tonlos.
»Pinn läuft heute Morgen nicht auf allen Zylindern, was, mein Junge?« Malvery klopfte ihm grob auf der Schulter. Pinn wurde noch etwas grauer und hob die Hand, um weitere Schläge abzuwehren.
»Ich bin kurz davor, mein Frühstück wieder von mir zu geben«, murmelte er. »Lass gut sein.« Malvery lachte schallend, und Pinn wich vor dem Ansturm der ungeheuren Heiterkeit des Doktors zurück.
»Hast du die selbst modifiziert?« Jez strich mit einer Hand
über die Flanke der Skylance. Die Maschinen der J-Klasse waren Einsitzer, bei deren Konstruktion das Hauptaugenmerk auf Geschwindigkeit und Wendigkeit lag. Sie hatten lange, sanft gekrümmte Knickflügel. Das Cockpit war weit zurückgesetzt, um Platz für die riesige Turbine in der Nase zu schaffen, die ein Düsentriebwerk am Heck speiste. Diese
Weitere Kostenlose Bücher