Piratin der Freiheit
verschwanden im Dickicht, um ungehindert ihre Begierden auszuleben, die sie den ganzen harten Arbeitstag über in Zaum gehalten hatten.
»Was soll bloß aus all dem werden?«
Celeste Heredia blickte ihren Vater an. Er hatte das ausgedrückt, was sie sich selbst schon mehr als einmal gefragt hatte.
»Im Augenblick funktioniert es«, entgegnete sie lapidar.
»Aber was wird aus den Kindern werden? Werden die
auch dazu verdammt sein, Sklaven zu werden?«
»Machst du dir vielleicht mehr Sorgen um sie, weil sie halbe Weiße sein werden? Werden sie vielleicht ein
größeres Recht auf Freiheit haben als ihre Brüder, die schwarze Väter haben? Falls das so ist, dann sollten wir uns überlegen, wie hoch der Anteil an weißem Blut sein muß, damit ein Kind nicht versklavt wird.«
»Warum machst du alles so kompliziert?« beklagte
sich Miguel Heredia etwas bitter. »Das war doch nur eine einfache Frage.«
»So einfach nun auch wieder nicht, denn damit legst du den Finger in die Wunde«, gab sie zu bedenken. »In den heutigen Zeiten ist der Unterschied zwischen freien Menschen und Sklaven fast so groß wie der zwischen
Leben und Tod, und vom Farbton der Haut hängt wohl
für Millionen von Menschen sehr viel ab. Wie weiß
müssen wir sie machen und über wie viele Generatio-
nen hinweg, bis wir endlich so gnädig sind, sie als un-seresgleichen anzusehen? Sag mir, glaubst du, daß zehn Generationen genügen werden?«
»Das nehme ich an.«
»Wir halten uns also für zehnmal besser als die
Schwarzen. Findest du wirklich, daß einer dieser Matrosen, der weder lesen noch schreiben kann und nur deshalb nicht schreit wie ein Esel, weil er es nicht gelernt hat, zehnmal menschlicher ist als ein so liebenswertes Geschöpf wie Yadiyadiara?«
»Ich finde gar nichts«, verteidigte sich ihr Vater.
»Aber ich sehe doch, daß einige Jungs sich Sorgen machen, ob ihre Söhne eines schönen Morgens nicht versklavt werden können.«
»Dagegen gibt es nur ein Rezept«, meinte sie gallig.
»Auf Beischlaf verzichten, denn keiner kann verhin-
dern, daß eines schönen Tages ein Mulatte nicht ebenso brutal gejagt wird wie ein Schwarzer.« Celeste drückte die Hand ihres Vaters und fuhr mit sanfterer Stimme fort: »Glaube nicht, daß ich nicht daran gedacht habe.
Aber ich darf nun mal keine Unterschiede zwischen
Schwarzen, dunklen und hellen Mulatten machen, sonst hätte meine Mission keinen Sinn.«
»Glaubst du vielleicht immer noch, daß sie einen Sinn hat?«
»Übermorgen wirst du es sehen, ob oder ob nicht.«
»Willst du vielleicht an dieser entsetzlichen Zeremonie teilnehmen?« fragte Miguel Heredia entgeistert.
»Natürlich!« versicherte sie. »Und nicht nur ich. Ich werde befehlen, daß alle bis zum letzten Mann anwe-send sind.«
»Gütiger Gott!« klagte ihr Vater. »Wir sollten sie vielmehr daran hindern, statt sie mit unserer Anwesenheit auch noch zu beflügeln. Kein Mensch hat sich jemals etwas Bestialischeres ausgedacht.«
»Und wer hat schuld daran?« wollte Celeste wissen.
»Glaubst du vielleicht, daß sie das gerne tun? Wir haben sie dazu getrieben. Wie verzweifelt müssen diese Mütter sein, wenn sie zu solch extremen Maßnahmen
greifen…«
In den Gesichtern der Mütter war tatsächlich abgrundtiefe Verzweiflung zu lesen.
Schmerz und Verzweiflung.
Und Angst in den Gesichtern der Kinder.
Panik wäre der richtigere Ausdruck gewesen!
Aber was konnten sie anderes tun?
Sich ewig verstecken?
Jedesmal in den tiefsten Urwald flüchten, wenn die
Krieger Mulay-Alis auftauchten?
Selbst das nützte inzwischen nichts mehr, denn die
Bluthunde der Krieger konnten jeder Spur im Urwald
folgen.
Wenn ein Sohn zwölf Jahre alt geworden war, hing
die Hoffnung der Mutter nur noch an einem seidenen
Faden. Jeden Augenblick konnten mitten in der Nacht die Händler auftauchen und ihr den Sohn für immer
entreißen.
Es gab kein Versteck für ihn.
Nicht einmal Verwandte, zu denen man ihn schicken
konnte.
An keinem Ort war er sicher, weil Afrika, ganz Afri-ka, nur ein riesiges Jagdrevier war, in dem man Knaben einfing, die kräftig genug waren, um Zuckerrohr zu
schneiden.
Es gab nur eine einzige Lösung.
Daß sie nicht in der Lage waren, in Amerika Zucker-
rohr zu schneiden.
Daher fand einmal im Jahr an der Sklavenküste eine
grausame Verstümmelungszeremonie statt.
Daher unterwarfen sich einmal im Jahr die meisten
Knaben, die wegen ihres Alters oder ihres kräftigen Körpers Gefahr liefen, geraubt zu
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