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Pittys Blues

Pittys Blues

Titel: Pittys Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Gaebel
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einigem Abstand gefolgt. Am Waldrand blieb sie stehen und wartete, bis er mit ihr auf einer Höhe war.
    «Was meintest du damit, gerade eben auf dem Steg?»
    «Hm?»
    «Mit dem Reinspringen und so?»
    Pitty ging schweigend weiter. Der Weg teilte sich kurz hinter dem Waldrand. Links führte er zu einem etwas nördlich des Sugarclubs gelegenen Strand, geradeaus ging es zur Stadt und Dicks Pick-up, rechts zu ein paar einzeln gelegenen Häusern, darunter Ben Simmons’ Hütte.
    Sie schlug den Weg zum Strand ein, Dick an ihren Fersen klebend. Man konnte das Wasser von hier aus sehen, genauso, wie man Tulipes Kaschemme durch die Bäume schimmern sah, wenn man sich umdrehte.
    «Es sah so aus.»Sie zwirbelte die aus dem Zopf gerutschten Strähnen zwischen ihren Fingern.
    Dick war es unangenehm, dass Pitty ihn so gesehen hatte, nicht ganz in der Realität.
    «Realität ist Nebensache.»Pitty sah ihn an, als habe sie seine Gedanken gelesen. Es schauderte ihn. Sie duftete nach Orangenbäumen, vollbehängt mit reifen Früchten.
    Bis zum Wasser waren es nur noch ein paar Schritte. Pitty setzte sich in den Schnee, schnürte ihre Stiefel auf, zog sie aus und streifte ihre Socken ab.

    «Ist dir das nicht zu kalt?»Dick starrte auf Pittys Füße, auf ihre Zehen. Die mittleren drei Zehen sahen aus wie nachträglich aufgesetzt, ragten über den großen Zeh hinaus und ließen den kleinen Zeh verschwinden.
    Als Antwort stand sie auf, ging ans Ufer und ließ das Wasser ihre Füße berühren. Dick setzte sich in den feuchten Sand. Er fing an sich zu entspannen, das hörte man an seinem Magen, der laut gluckste.
    Pitty setzte sich neben ihn.
    «Warum guckst du mich so an?»
    «Sollte ich das nicht?»
    «Ach, vergiss es.»
    «Ich kann auch woanders hinsehen.»Sie richtete ihren Blick auf den Fluss, dessen Oberfläche jede der kleinen Flocken verschluckte.
    «Danke.»
    «Warum hast du mich angeschrien?»
    Dick war zu überrascht, um sich eine gute Antwort einfallen zu lassen.«Ich... du... Weiß nicht. Such dir was aus.»
    Pitty nickte und grub ihren Blick in seine Ohrmuschel.
    Und, als wolle er die Sprache auf etwas Unverfängliches bringen, platzte es aus ihm raus:«Du bist so hübsch!»Er schlug sich auf den Mund, bevor er sich noch weiter verhaspeln konnte.
    «Ich sollte einfach mal die Klappe halten.»Das war das Letzte, was er sagte. Fürs Erste.
    Sie sah ihn nur an. Er hatte sie hübsch genannt. Das reichte, weil das mehr Aufmerksamkeit war, als sie jemals
von einem anderen Menschen, der nicht Familie war, zu spüren bekommen hatte. Es reichte, um die langsame, stumme Pitty zum Reden zu bringen.
    Sie ließ ihn nicht zu Wort kommen, obwohl sie nicht ein Wort sagte.
    Er brachte sie dazu, reden zu wollen. Und damit wusste Pitty nicht umzugehen. Pitty hatte sich bis dahin nie großartig etwas gewünscht, sie hatte noch nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet. Aber jetzt wollte sie. Ihn kennenlernen.
    Sie rutschte näher an ihn heran und erwartete, dass er vor ihr zurückweichen würde. Was er nicht tat. Sie rutschte noch näher. Vorsichtig legte sie ihre Hand auf die seine.
    Dick starrte ungläubig auf ihre Hände.
    Ihre Berührung war nur ein Hauch, er hätte sie wohl kaum gespürt, wenn er es nicht mit seinen eigenen Augen gesehen hätte. Aber sie war da, weder kalt noch warm, einfach da.
    Und Pitty, Pitty empfand ein leichtes Zittern unter ihren Fingerkuppen und spürte die Haare auf Dicks Handrücken, wie sie sich aufstellten. So saßen sie da und beobachteten ihre Hände dabei, wie die im Kleinen taten, was sie im Großen wollten.
    Für Pitty schien es, als sähe sie sich zum ersten Mal von außen. Sie war immer die merkwürdige Pitty gewesen, die, die an den Wegen stand und sich mit den Bäumen und irgendwelchen Geistern unterhielt. Aber nie die Pitty, die auch mit Menschen sprechen konnte oder wollte.

    Für Dick war sie, was ihn essen und nicht schlingen lassen konnte, sie war diejenige, die ihm die schlechten Träume nehmen und gegen gute eintauschen konnte, sie war der Mensch, der ihm den Gedanken an Elliots Tod erleichtern würde. Das spürte er. Aber er sehnte sich auch nach dem gestrigen Tag, als er um diese Uhrzeit auf seinem Sofa gelegen und sich darauf gefreut hatte, diesen Hecht endlich an den Haken zu bekommen. Er sehnte sich nach seinem verwohnten Blockhaus und seinem alten Sofa, dessen ursprüngliche Farbe nur mit der größten Anstrengung zu erraten war.
    Er wollte aufstehen und gehen, aber er konnte nicht.

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