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Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Titel: Pixity - Stadt der Unsichtbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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sich, noch bevor Bentner sie hätte anklicken können, in Luft auf. Eine Schulschwänzerin wahrscheinlich. Hatte ihrer Mutter vorgegaukelt, von Magenkrämpfen zerrissen zu werden, und war soeben am PC erwischt worden und kam in den Genuss einer Strafpredigt. Oder hatte einfach keine Lust gehabt, war in einen anderen Chat abgedriftet. »Schade«, flüsterte der Junge in seine Sprechblase und wartete weiter.
    In seinem halben Jahr als oberster Wächter über die guten Sitten von Pixity hatte Bentner gelernt, dass die ersten Stunden des hellen Tages für seinen Job die günstigsten waren. Die wirklichen Kinder ächzten in der Schule, von Schulschwänzern und tatsächlich Kranken abgesehen. Die unechten hingegen wurden von ihrer Gier früh nach Pixity getrieben, Männer hauptsächlich, denen schon der Gedanke, mit einem Kind zu chatten, eine Erektion verschaffte, und die Aussicht auf ein intimes Gespräch nahe am Orgasmus war. Zwei, drei erschienen jetzt im Foyer, sahen sich um, anscheinend suchten sie kleine Mädchen, verschwanden und setzten ihre Wanderung durch die Gebäude und Räume der Stadt fort.
    Bentner loggte Rickboy_16 aus und Jana_13 ein. Sie trug ein kurzes rotes Kleidchen aus der Special Edition (3 PixDollars), schwarzglänzende Pumps (4 PixDollars) und verfügte über einen hervorstechenden Busen zu 6 PD, neckisch und nur notdürftig vom Stoff im Zaum gehalten. Jana lief durchs Foyer, zurück, ziellos, setzte sich schließlich akkurat auf den Stuhl, auf dem zuvor Rickboy gewartet hatte.
    Bentner lehnte sich zurück, trank einen Schluck Kaffee und steckte sich eine Zigarette an. Das war zwar im ganzen Haus streng verboten, kümmerte ihn aber nicht.
    »Na, schon Erfolg gehabt?«
    Für Lisa Steinwach zählte Anklopfen nicht zu den kulturellen Errungenschaften des Abendlandes. Sie hatte die Tür mit jugendlichem Elan aufgerissen und wie soeben Jana einige Schritte in den Raum gemacht. Sie war auch beinahe so wie Jana gekleidet, das Kleidchen nicht ganz so kurz, aber rot, die Heels schwarz und waghalsig hoch, den Busen hingegen hätte sie im Pixity-Beautyshop für schlappe 4 PD haben können.
    »Setz dich und hol dir einen Kaffee«, sagte Bentner, während sich Lisa hinsetzte und einen Kaffee holte. Bentner ließ Jana einen elfjährigen Schulschwänzer namens Crashtestkiller abwimmeln, der sich ihr radebrechend genähert und eine gänzlich neue Schreibweise von »geile Titten!« erfunden hatte: »guhle Tutten hast, babe!« Lisa gluckste und notierte sich den Neologismus.
    »Wenn sie in der Schule bloß auch mal so kreativ wären. Ich hab grad die 69. Schreibweise von eingegeben:
    Er mochte Lisa nicht allein deswegen, weil sie ihm das beruhigende Gefühl vermittelte, in dieser Firma nur den zweitbeschissensten Job zu haben. Die Dialoge der Pixies rollten wie ein endloser Sermon vor ihr ab, sie musste alles lesen, um neue Varianten des Schweinesprech zu entdecken und in die Datenbank zu füttern. Dies konnte nur, wer acht Euro in der Stunde für ein gutes Entgelt hielt, jung und naiv genug war, auf eine beinahe rührende Weise davon überzeugt, die Welt bessere sich, wenn man das Schlechte ausmerzt.
    Nein, Lisa war auf eine unkomplizierte Weise nett. Nichts weiter. Sie redete altklug daher, was Bentner beinahe sentimental machte, sie ging arglos mit ihrer Weiblichkeit zu Werke, ein Mädchen, das nicht ahnte, was es anrichtete, wenn es sich seine Heels von den Füßen streifte und die Zehen auf dem Teppich spielerisch krümmte. Nach zwanzig Minuten ging das Bentner regelmäßig auf die Nerven, und irgendetwas sagte Lisa, dass sie nicht länger bleiben durfte. Sie stand auf, sah ein letztes Mal auf den Bildschirm, drehte sich um, ging zur Tür, öffnete sie, drehte sich noch einmal um, fragte: »Und du schaffst das wirklich?« Bentner nickte, Lisa nickte, beide nicht sehr überzeugend.
    Manchmal, wenn er sich langweilte, schaltete Bentner den zweiten Rechner an, loggte sich ein und trieb sich mit seinen Lockvögeln in Pixity herum. Dann konnte es vorkommen, dass sich Rick und Jana in einem Raum – etwa der Fitnesshalle – trafen und gegenseitig becircten. »Hey rickboy, du bist geil!« – »Hähä jana, siehst zum anbeissen aus. Gehen wir auf mein zimmer?« – »Hihi, du bist mir einer.« Sie gingen auf Ricks Zimmer und Bentner aufs Klo. Als er wiederkam, hatten Rick und Jana jede Menge Freundschaftsanfragen bekommen, Bentner nahm sie ohne Zögern an. Dann kehrte Jana in den Fitnessraum

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