Pixity - Stadt der Unsichtbaren
Almuth Neu erlaubte sich ein dünnes Lächeln über ihrem Schreibblock.
Quartalszahlen. Bentner war als erster im Konferenzraum erschienen, ein Novum, das seine Partner still bestaunten. Dass er überhaupt gekommen war, durfte als Sensation gelten. Die Zahlen waren wie immer blendend und wie immer durfte man sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen, denn die Konkurrenz schlief nicht. Alina rollte mit den Augen, als Michael seine Sprüche machte. Neue aufregende Aktionen. Die punktgenaue Positionierung der berechtigten Anliegen der Werbepartner plus redaktionelle flankierende Maßnahmen, innovativ und …
»Also«, stöhnte Alina, »wer in Zukunft hier noch einmal das Wort innovativ gebraucht, zahlt 1% seiner Geschäftsanteile in die Kaffeekasse.«
»Hm«, sagte Michael, »also was Neues. Nils? Ideen?«
Bentner hatte die Zeit totzuschlagen versucht, indem er die Quersummen der Tabellenzahlen ermittelte, jede Reihe zusammenzählte, sich die Quersummen merkte, auch diese addierte und wieder die Quersumme ermittelte. Jetzt löste er sich von dem Wandbild und machte »nun ja«.
»Das ist wie Sekt mit O-Saft, glaube ich. Man schüttet das Zeug zusammen und es vermischt sich, du trinkst und hältst es für ein völlig neues Getränk, du siehst die Weinberge direkt vor dir, in denen Trauben reifen, die wie Orangen schmecken, die Farbe von Orangen haben, aber Trauben sind. So etwa doch? Ungefähr? Oder?«
Alina lachte, Michael grinste, Almuth wusste nicht, ob man das im Protokoll verewigen sollte.
»Sieh an, der Nils«, sagte Alina, »in dir steckt ja einiges.«
»Und was steckt in dir?«
»Aber hallo«, meldete sich Sarkovy, »ihr sollt hier keine Anzüglichkeiten tauschen. Sagt lieber, wie wir die Orangen in die Trauben kriegen.«
»Es müssen mehr Fakes in den Chat«, antwortete Bentner und tat so, als studiere er die flimmernden Tabellen an der Wand. Der Herr möge das bitte präzisieren, forderte Alina auf.
»Ist doch ganz einfach. Früher nannte man das Mundpropaganda, heute vielleicht Peergroup Intervention, keine Ahnung. Wer klickt schon auf Werbeanzeigen? Aber wenn dir deinesgleichen begeistert erzählt, die Jeans der Marke XY sei gerade dermaßen angesagt und cool – ein must have auf gut Deutsch –, kommst du doch auch ins Grübeln, oder? Wir sollten ein paar Studierende engagieren, die sich hier in Pixity anmelden, durch die Räume ziehen, Kiddies anquatschen und mal so eben en passant einflechten, wie cool doch dieser oder jener Provider sei, die neue CD von irgendeiner Tussi total super und überhaupt alles geil, was unsere Werbepartner wünschen. Schon habt ihr euren O-Saft.«
Alina und Michael dachten nach, in ihren Köpfen hmmte es.
»Hm«, sagte Michael, »clever. Aber wenn das rauskommt, können wir den Laden dichtmachen.«
»Mal ganz langsam, Michael.« Alina legte ihr Kinn in den linken Handteller, auf dem anderen liebkoste sie ihren Kugelschreiber mit den Fingerspitzen.
»Das hört sich nach einer verdammt guten Idee ein. Kommt nicht ins Protokoll, Almuth.«
Die hörte abrupt mit dem Notieren auf, sah hoch und nickte.
»Aber.« Alina richtete sich auf, Unterarme auf den Tisch. »Die Leute müssten geschult werden. Absolut vertrauenswürdig sein. Problem.«
»Hm.« Jetzt richtete sich Michael auf, Unterarme auf den Tisch.
»Könnte man nicht …«, er wandte sich Bentner zu, »könnte man nicht so etwas automatisieren? Wie die Pixies an den Getränkeständen. Die gibt’s doch auch nicht. Die reagieren, wenn sie angesprochen werden, und sagen ›Eine Cola für die Dame, eine Cola für den Herrn, wohl bekomm’s‹. Nennt man das nicht intelligente Agenten? Oder?«
»Ja«, sagte Bentner wider besseres Wissen, »aber diese Agenten müssten Gespräche führen. Auf das reagieren, was man ihnen sagt.«
»Keywords«, sagten Alina und Michael fast gleichzeitig, letzterer fügte hinzu: »Was reden die denn schon? Wie alt bist du? Wo kommst du her? Was machst du grad? Magst Musik, hast ’ne Freundin? Welche Schule gehst du? Das ist doch überschaubar. Sobald das Wort Schule in einem Fragesatz vorkommt, antwortet der künstliche Pixie Gesamtschule Gelsenkirchen oder so etwas.«
»Du vergisst, dass die meisten unserer Besucher überhaupt keine Satzzeichen verwenden. Fragezeichen schon gar nicht. Und sich auch nicht an die Rechtschreibung halten.«
»Hm, trotzdem.« Alina wieder mit dem Kinn im Handteller. »Wir sollten mal mit einem Linguisten reden. Einfach mal ausprobieren. Super Idee,
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