Plan D
kommen zu dürfen. »Der Mann, den man uns schickt, heißt Richard Brendel. Ich nehme an, das sagt Ihnen was.«
»Der Chef irgendeiner Westberliner Sondereinheit.«
»Eine Berühmtheit«, sagte Kallweit. »Einer der Besten, die sie da drüben haben. Er wird mit Ihnen zusammenarbeiten.«
Wegener wusste, dass Kallweit jetzt Ehrfurcht statt Durst erwartete, also griff er nach einer BIONIER-Brause Rhabarber und schraubte in aller Ruhe den Deckel ab.
Ich hätte Walderdbeere genommen, sagte Früchtl.
»Um ganz offen zu sein, Wegener, wir sind gezwungen, die Angelegenheit bei Ihnen zu lassen.« Kallweit sah plötzlich noch deprimierter aus. »Sie können sich denken, dass das unter normalen Umständen nicht passiert wäre. Der Fall würde gar nicht bei der Volkspolizei verbleiben und schon gar nicht bei Ihnen.«
»Richtig, da war ja noch wa s …« Steinkühler tat nachdenklich und blätterte in seinen Papieren. »Dieses Disziplinarverfahren.«
»Das eingestellt wurde«, sagte Wegener und trank einen Schluck. Kräftiger, leicht künstlicher Rhabarbergeschmack. Etwas zu süß.
»Das trotz seiner Einstellung gezeigt hat, dass Sie und Ihr früherer Chef, ein gewisser Major Josef Früchtl, zu einer Überschreitung von Zuständigkeitsgrenzen neigen.«
Korrekt, du Gichtgesicht, sagte Früchtl, genau so haben wir es gemacht.
Kallweit warf einen vielsagenden Seitenblick auf Münzer, einen auf Steinkühler. »Nun, das Kanzleramt und Richard Brendel haben ausdrücklich verlangt, dass der Beamte der Volkspolizei, der von Anfang an mit der Sache betraut war, nicht abgezogen wird. Als ob wi r …«
»Auf jeden Fall bleiben Sie vorerst drin.« Münzers Stimme ertrank in einem spitzen Mikrofonfiepen. »Bedanken Sie sich bei Brendel. Zum Ablauf: Sie berichten an Borgs und Kallweit. Brendel berichtet direkt ans Kanzleramt. Ich stehe mit dem Kanzleramt und der Parteiführung in Kontakt. Informationsweitergabe an Dritte, und Sie sind noch am selben Tag des Staatsgeheimnisverrats angeklagt.«
Wegener merkte, wie ihm heiß wurde. Sein Hemd klebte. Ein Schweißtropfen lief über die Brust, über den Bauch, kitzelte, wurde erst vom Hosenbund gestoppt. Vielleicht hatten sie das mit Karolina von Borgs. Vielleicht von ihren Spitzeln. Vermutlich werde ich seit zwei Tagen observiert, dachte Wegener, vom Tatort an. Ihr wisst mehr, als ich je wissen werde, ihr steht hinter den Kulissen, ihr verschiebt die Wände, ihr führt Regie. Ich stolpere über die Bühne. Aber, meine schnurrbärtigen, halbglatzigen, braunblonden, verwarzten, verwanzten Freunde, ich stolpere in unvorhersehbare Richtungen.
»Haben Sie noch Fragen?«
»Wen bringt Brendel mit? Pathologie? Spurensicherung? Oder läuft das über uns?«
»Noch nicht geklärt. Vermutlich ist jemand vom Bundesnachrichtendienst dabei. Dann haben wir 25 1 BND-Männer im Land. Unser Ziel ist es, dass auf jeden Fall Ulf Lienecke in der Sache drin bleibt. Brendels Rolle wird eher die eines Beraters sein.«
Wegener sah Steinkühler in die blassblauen Augen. »Mit Verlaub, Genosse Generalobers t – aber Sie kennen die Spurenlage und die Verdachtsmomente, so absurd die auch sein mögen.«
Steinkühler imitierte ein neugieriges Gesicht.
»Wenn das also eine Ermittlung streng nach Vorschrift werden soll, und das wird ja mit einem Richard Brendel im Gepäck und vor diesem politischen Hintergrund so sein müssen, dann hat die Staatssicherheit nicht nur Zeugenstatus, sondern ist automatisch Gegenstand der Untersuchung.«
Einer der Anzugmänner hatte sich verschluckt und hustete. Kallweit starrte an die Decke, als hätte ihm der Allmächtige endlich seine Pläne für den nahenden atomaren Weltuntergang gezeigt.
Steinkühler setzte seine Brille wieder auf. »Freuen Sie sich doch ein bisschen, Genosse Hauptmann!« Die Goldkronen strahlten. »Jetzt dürfen Sie endlich mal ganz offiziell Ihre Nase in Sachen stecken, die Sie nichts angehen. Sie sind der erste Volkspolizist in der Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik, der gegen die Staatssicherheit ermittelt. Aber, und das mag am Ende Ihr persönlicher Wermutstropfen sei n – nicht der erste, der erfolgreich gegen die Staatssicherheit ermittelt.«
Wegener lächelte.
Borgs kratzte sich am Doppelkinn.
Die alte Dogge, sagte Früchtl, hat wieder mal erfolgreich die Schnauze gehalten.
7
D ie Stimme der Opernsängerin kletterte immer höher. Für diese Stimme war die Tonleiter offenbar etwas Unendliches. Das Orchester hechelte hinterher. Die
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