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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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nicht so dramatisch, wenn man nur aufhörte, nach Beweisen dafür zu suchen, dass die Stasi einen Freund entführt und vielleicht sogar umgebracht hatte. Wenn also nichts zu befürchten wäre als die geheime Öffentlichkeit des Privaten. In Westdeutschland ließen sich Fernsehsternchen in den Urwald sperren, beim Bumsen filmen, das Proletariat bekam einen Container, alle Jugendlichen stellten ihre Fotos ins Netz, ihre selbst gedrehten Pornos, die allabendliche, grobkörnige Onanie. Am Flughafen zogen Scanner die Reisenden aus, das komplette Land wurde mit Kameras überwacht, jedes Taxi, jede U-Bahn, jeder Marktplatz. Überall steigerte man die Staatssicherheit, nicht nur in der DDR. Überall wurde hemmungslos observiert, zugeschaut, registriert, mal ganz offiziell, mal ganz inoffiziell. Menschen haben immer eine exhibitionistische und eine voyeuristische Ader besessen, dachte Wegener, jetzt können sie beide lustvoll ausleben. Die einen unter dem Diktat des Sozialismus, die anderen unter dem Diktat ihrer technischen Möglichkeiten.
    Er stellte sich Steinkühler vor. Der saß jetzt hoch über Ostberlin in seinem Sessel. Vor einer Mauer aus Monitoren. Auf allen Bildschirmen flimmerte ein Spaziergänger, von schräg oben satellitengefilmt, manchmal ein bisschen vom Astgewirr verdeckt, trotzdem stets sichtbar, weil von drei Linsen gleichzeitig ins Visier genommen. Sämtliche Bildschirme strahlten laubgelb, tauchten Steinkühlers graue Bürolandschaft in ein sonniges Licht, ließen sein Gesicht leicht gebräunt erscheinen, machten einen Rügen-Urlauber aus ihm, mittags am Strand, Kaiserwetter, die Kronen blitzen golden wie nie. Steinkühler wirft keinen Schatten. Steinkühler sitzt stumm vor seiner Wand voller Wegeners und Wald und betrachtet die dunkle Figur, die sich durch den Blätterteppich kämpft, eintöniges Programm, dessen Ende längst bekannt ist, deshalb stutzt Steinkühler auch nicht, als die Gestalt auf seinen Bildschirmen plötzlich mit dem linken Fuß hängen bleibt, mit den Armen rudert, Wurzel-Stolperfallen, mit denen man rechnen muss, die überall lauern, der Stürzende kann im Umkippen nur noch die Hände vors Gesicht reißen, dann schlägt er schon der Länge nach ins Laub.
    Kein Schmerz, nur ein Rascheln. Feuchtigkeit und schlagartig der Geruch von Erde und Fäulnis. Nichts schmerzte. Wegener öffnete die Augen. Direkt vor seinem Gesicht ein großer, rotbrauner Farbfleck. Feine Adern liefen in exakten Parallelen zu den dunklen, rissigen Blattenden. Der modrige Geruch wurde intensiver. Etwas Feuchtes klebte an seiner Wange. Wegener sog Luft ein, sah wieder Hoffmanns Hals vor sich, das gestreckte weiße Fleisch mit der violetten Seilkerbe, die filzigen Haare, dahinter Jociczs eckiges Gesicht, seine gelblichen Gummifinger, die acht Törns, die schäbigen Hoffmannschuhe, dicht beieinander, von einer Schleife zum hängenden Hackenzusammen vereint. In diesen Bildern gab es nichts zu entdecken, nichts, was eine Erkenntnis auslöste, nichts, was weiterführte. Schleife, Seil, Öltropfen, das waren Tatsachen, denen Lienecke mit etwas Glück ein paar weitere, unwesentliche Tatsachen abtrotzen konnte, aber kein Motiv, kein Indiz, das zu einem Namen führte oder zu einer Adresse. Diese Dinge würden ins Leere laufen, waren platziert, gestellt, ausgedacht, die ganze Nummer ein professioneller Job von Männern, die exakt wussten, was sie taten. Und diese Männer waren schwer zu finden. Wegener fragte sich, wie Früchtl diese skurrile Lage einschätzen würde, einen Mord nach Stasirache-Ratgeber von 1989, einen Generaloberst Steinkühler als Zeugen, einen importierten Star-Ermittler Brendel als Aufpasser. Früchtl hätte sich erst mal ein Hacksteak bestellt, mit drei Spiegeleiern und Pommes-Mayo, alles in sich hineingeschlungen und dann vermutlich wie immer zu Misstrauen geraten. Zu Misstrauen gegenüber Steinkühler, Münzer, Kallweit, Borgs, Lienecke, Brendel.
    Wegener war klar, dass er in eine Sache reingezogen wurde, in der alle bessere Karten hatten als er, in der jeder ausreichend Hintertüren und Sündenböcke besaß, jeder bis auf ihn. Brendel war unantastbar. Steinkühler und Münzer wussten Dinge, die sie schützen würden. Kallweit konnte Borgs verantwortlich machen. Borgs würde den Mist im Ernstfall eine Stufe weiter nach unten kehren. Und auf dieser Stufe stand, hockte, lag Hauptmann Hängebacke im Knisterlaub, die Vergänglichkeit alles Irdischen in der Nase.
    Natürlich würde ich erst mal ein

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