Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
er so zum erfolgreichsten Glaubensheiler der USA . Er ging auf über 300 »Heilungs-Kreuzzüge«, legte über zwei Millionen Menschen die Hände auf und verdiente 120 Millionen Dollar im Jahr. 1954 brachte er als einer der Ersten seine Heilungs-Show ins Fernsehen, und von da an ging es erst recht los. 80 Prozent der amerikanischen Fernsehzuschauer konnte er nun potentiell erreichen. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere beschäftigte er 2.300 Angestellte und gründete eine eigene Universität mit einer 270 Meter hohen Jesus-Statue auf ihrem Gelände.
Es ging ihm gut, genau wie Gott es wollte. Er liebte italienische Seidenanzüge, Brillantringe und goldene Armbänder, Halleluja! (Seine Publicity-Abteilung hat die Schmuckstücke übrigens auf seinen Autogrammfotos fleißig wegretuschiert.)
Doch das reichte ihm nicht.
1987, nachdem er schon Dinge getan hatte, die sich kein anderer Fernsehprediger getraut hätte, ging er einen Schritt weiter. Vielleicht einen Schritt zu weit.
Während er bei einer TV -Predigt zu Spenden aufrief, gab er vor laufender Kamera unter Tränen seine jüngste Vision bekannt: Gott habe ihm eröffnet, dass er ihn »nach Hause holen« würde, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten acht Millionen Dollar an Spenden einnehmen würde.
Eine solche Unverschämtheit hat selbst meine Landsleute schockiert. Wollte er mit Selbstmord drohen? Wollte er seine Anhänger erpressen? Es gab einen Aufschrei der Empörung, und gleichzeitig wurde Roberts in Comedy-Sendungen und in öffentlichen Kommentaren mit mehr Hohn und Spott überschüttet, als ein normaler Mensch überleben würde.
Zwei Monate später hatte er über neun Millionen eingenommen.
Roberts’ wohlgewählte Behauptung, Gott werde ihn »nach Hause holen«, wenn seine Zuschauer nicht mit der Kohle rüberkämen, war in ihrer Dreistigkeit atemberaubend. Und zugleich zutiefst amerikanisch. Er verband geschickt die drei Dinge, die wir am meisten lieben: Glaube, Kapitalismus und große Ideen.
Die meisten Menschen würden sich solch eine Frechheit niemals erlauben. Roberts aber dachte dabei an ein bestimmtes Motto, das er sein Leben lang vor Augen hatte. Es war nicht der Bibelvers, der ihn viele Jahre vorher inspiriert hatte, es stammte von einem Amerikaner, einem Star des »Gilded Age«: dem Architekten Daniel Burnham. Er war unter anderem der Chefarchitekt der Weltausstellung »World Columbian Fair« in Chicago, wo die Welt zum ersten Mal Klapperschlangenöl kennenlernen durfte. Burnham hatte einen Lieblingsspruch, und eben diesen liebte auch Oral Roberts: »Mach keine kleinen Pläne hier.«
Religion in Amerika ist ein Spielplatz jenseits der Vernunft. Das ist der Grund, warum Europäer Amerika nie verstehen werden: Sie sind einfach zu vernünftig. Aber das geht, ehrlich gesagt, auch vielen Amerikanern so.
Wer meine Landsleute besser verstehen will, sollte mal einen Blick auf meine ehemalige Kirche, die Mormonen, werfen.
Die »Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage« ist die amerikanischste aller Kirchen, weil sie es geschafft hat, sämtliche Eigenschaften, die Amerika ausmachen, in eine Religion umzusetzen. Genau wie die katholische Kirche mit ihrem starken Obrigkeitsglauben das feudale Europa widerspiegelt, spiegeln die Mormonen die demokratischen USA wider.
Wie alle Amerikaner sind die Mormonen extrem pragmatisch – auch was das Übersinnliche angeht. Während europäische Theologen sich in lange, nicht überzeugende, undurchsichtige Theorien verwickeln, um jungfräuliche Geburt, Dreieinigkeit und andere Widersprüche der Bibel zu erklären, geht die Mormonenkirche da ganz praktisch ran.
Zum Beispiel folgendes Problem: Wenn man sich, um in den Himmel zu kommen, taufen lassen muss, wie es im Neuen Testament steht, was ist dann mit den Abermillionen Menschen auf der Welt, die nie die Möglichkeit dazu hatten? Ist das nicht etwas unfair von Gott?
Anstatt lange drumherum zu schwafeln, gab der Gründer Joseph Smith, immerhin ein Prophet, die Frage an Gott weiter und bekam auch gleich die Antwort: Nach dem Tod, aber noch vor dem Jüngsten Gericht, befindet sich unsere Seele in einer Art spirituellem Wartesaal. Dort bekommen diejenigen, die niemals vom wahren Glauben gehört haben, noch einmal die Möglichkeit, von Christus zu erfahren und ihn anzunehmen oder abzulehnen.
Aber wie lassen sie sich dann taufen? Sie haben ja keinen Körper mehr.
Auch kein Problem. In ihren Tempeln (die anders sind als ihre Kirchen) lassen sich die
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