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Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Titel: Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric T. Hansen
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Mormonen stellvertretend für die Verstorbenen taufen. Die Verstorbenen können dann in der Geisterwelt die Taufe annehmen oder ablehnen. Das hat zu einem gigantischen Projekt geführt, das unverändert andauert: Jeder Mormone ist angehalten, die Namen seiner verstorbenen Vorfahren einzuschicken, damit man sie im Tempel stellvertretend taufen kann.
    Mancher Katholik, der fest an Transsubstantiation, Jungfrauengeburt und das priesterliche Zölibat glaubt, mag über solch verrückte mormonische Ideen lachen, aber seit über hundert Jahren betreiben die Mormonen ein riesiges weltweites genealogisches Forschungsnetz, das seinesgleichen sucht und auch regelmäßig von nicht-mormonischen Wissenschaftlern für akademische Zwecke genutzt wird. Während andere Kirchen jahrtausendelang irgendwelche theologischen Prinzipien diskutieren, packen die Mormonen die heißen Themen an.
    Sogar das amerikanische »positive Denken« ist in der mormonischen Theologie zu Hause.
    Laut der Lehre des »vorirdischen Daseins« lebten alle Menschen schon lange vor ihrer Geburt als geistige Individuen im Himmel. Als Gott die Erde erschuf, rief er uns alle zu einem großen Rat zusammen und stellte uns vor die Wahl, auf Erden zu leben oder eben nicht.
    Es war keine leichte Entscheidung: Wer auf die Welt käme, würde so unangenehme Dinge wie »Leiden«, »Tod« und »Desillusionierung« erleben – all das wäre für unsere spirituelle Entwicklung leider notwendig, sorry. Rund ein Drittel seiner geistigen Kinder lehnten das Vorhaben rundweg ab. Die anderen zwei Drittel … sind wir.
    Mit anderen Worten: Jeder, der sich hier auf Erden befindet, ist hier, weil er es wollte. Das macht es den Mormonen besonders schwer zu meckern. Ein Mormone kann niemals sagen: »He, dieses Leben habe ich mir nicht ausgesucht.« Die speziellen Umstände hat er sich vielleicht tatsächlich nicht ausgesucht, aber er wusste, was er tat. Das vermittelt einem eine ganz andere, sehr positivistische – man kann auch sagen: amerikanische – Perspektive auf das Leben.

23
Wir haben ein Monster erschaffen
    W ürden Sie jemanden in das wichtigste politische Amt der Welt wählen, der, zu seinen politischen Ansichten befragt, antwortet:
    »Die Klimaerwärmung? Reines Voodoo, Betrug,Verarschung.«
    Oder: »Homosexualität ist eine Sünde, doch Gebet kann sie heilen.«
    Oder: »Der Mensch ist dazu bestimmt, sich über das gesamte Sonnensystem zu verbreiten und darüber hinaus ins ganze Universum.«
    Oder: »Wenn man Kinder gegen Krankheiten impft, führt das zu geistiger Behinderung.«
    Oder: »Jeder, der sagt, Amerikaner sollen auf die Uni gehen, ist nichts weiter als ein Snob.«
    Oder: »Es geht um Sex. Alles dreht sich um Sex. Woodstock war die große amerikanische Orgie, und die demokratische Partei will Washington zu einem neuen Woodstock machen. Wer für sexuelle Freiheit steht, steht auf der Seite der Bösen.«
    Nein?
    Wir würden es tun.
    All diese Aussagen stammen von amerikanischen Präsidentschaftskandidaten des Jahres 2012, und sie haben nicht dazu geführt, dass man sie ausgelacht hat, sondern dass sie ernst genommen wurden.
    Dabei ist es niemandem verborgen geblieben, dass es auch andere Themen gibt: Unruhen in Nahost, Finanzkrise in Europa, die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich in Amerika. Will man aber Präsident der USA werden, muss man den Wählern erst mal beweisen, dass man genauso durchgedreht ist wie sie.
    Lange ist mir völlig entgangen, dass die bizarren Formen, die der amerikanische Wahlkampf annimmt, die Völker anderer Länder regelmäßig in Angst und Schrecken versetzen. Dann kam ich nach Deutschland.
    Es waren die 1980er. Ronald Reagan hatte gerade die Präsidentschaftswahl gewonnen. Mir war das relativ egal. Viele Linke hatten sich zu Hause aufgeregt, aber ich war jung und dachte mir nicht viel dabei. Außerdem kannte ich seine Filme und war froh, dass er in ein anderes Metier gewechselt war.
    Die Deutschen sahen das nicht so. Ein Gespräch mit der großen Schwester meiner deutschen Freundin ist mir heute noch ins Hirn gebrannt:
    »Seid ihr von allen guten Geistern verlassen?«, fragte sie mich, ehrlich entrüstet und mit einem leichten Anflug von Panik. »Wie könnt ihr einen Schauspieler zum mächtigsten Mann der Welt wählen? Ihr fallt wohl auf jeden Schwachsinn rein. Und in seinem Alter! Mit 70! Was passiert, wenn er senil wird und auf den roten Knopf drückt? Ich glaub, ich spinne! Es gab eine Zeit, da haben wir zu euch aufgeschaut,

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