Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
Marines unter Robert E. Lee ein, der ein paar Jahre später im Bürgerkrieg die Armee des Südens anführen sollte. Er unterbreitete Brown ein relativ großzügiges Angebot zur Kapitulation, das abgewiesen wurde, bot den beiden örtlichen Befehlshabern die Ehre an, selbst das Fort einzunehmen, was auch abgelehnt wurde, und stürmte schließlich das Depot.
Der Kampf dauerte ganze drei Minuten (was einen schon über die damaligen Sicherheitsvorkehrungen von Waffenlagern ins Grübeln bringen kann). Einer der hereinstürmenden Marines versuchte mehrfach, auf Brown einzustechen, aber seine Klinge verbog sich zweifach und glitt ab, anstatt in den Körper einzudringen.
Das Ende vom Lied: John Brown und sechs andere landeten vor Gericht, wo sie, des Landesverrats angeklagt, für schuldig befunden wurden. Man hängte sie.
Heute sind viele Amerikaner unschlüssig, ob Brown ein Märtyrer und Kämpfer für die gute Sache oder einfach ein wahnsinniger, fehlgeleiteter Mörder war. Er verkörpert einen sehr amerikanischen Zwiespalt: Einerseits vertrauen wir dem System, das die Gründerväter aufgebaut haben, und hoffen, dass Ungerechtigkeiten mit der Zeit beseitigt und Fehler korrigiert werden. Denn wenn jeder gleich zur Waffe greifen würde, wenn er etwas für falsch hält, herrscht wirklich Chaos.
Andererseits haben sich auch die Gründerväter mit Gewalt gegen Ungerechtigkeiten gewehrt – so entstand unsere Nation ja überhaupt erst. Haben wir da nicht dieselbe Pflicht?
Gleichzeitig steht John Brown, sieht man näher hin, aber auch für etwas sehr Unamerikanisches: fehlende Professionalität, denn er machte den gleichen Fehler, den später so viele Terroristen von der RAF bis hin zu Osama bin Laden machten: Er glaubte, die Mehrheit denke so wie er und nach seinem Gewaltakt würden sich alle spontan mit ihm zusammen erheben. Dabei hatte er es nicht einmal geschafft, die Sklaven in den Plantagen ringsherum rechtzeitig über seine Aktion zu informieren. So hat er ihrer Sache mehr geschadet als genutzt.
In einem aber sollte er recht behalten.
Am Tag seiner Hinrichtung schrieb er: »Ich, John Brown, bin nun sicher, dass die Verbrechen dieses schuldigen Landes niemals gebüßt werden können außer mit Blut. Ich denke heute, es war recht eitel von mir, mir einzubilden, dass es dazu nur ein geringes Maß an Gewalt brauchen würde.«
Doch es gab andere, die mit fantasievolleren Mitteln kämpften.
Sie nannten sich »underground railroad«, die Untergrundbahn. Selbst mitten im tiefsten Süden gab es Gegner der Sklaverei, und genau dort führte die »Untergrundbahn« hindurch. Viele Legenden ranken sich um sie. Eine davon besagt, dass sich zahlreiche bekannte Gospellieder in Wahrheit um sie drehen. Bei manchen kann man sich das auch in der Tat gut vorstellen: Go Down Moses und Wade in the Water erzählen entweder von der Flucht aus ägyptischer Gefangenschaft – oder von den Plantagen des Südens. Swing Low, Sweet Chariot beschreibt eine Pferdekarre, die einen über den Fluss (bzw. den Jordan) und nach Hause (bzw. ins Paradies) bringt; Steal Away (to Jesus) bedeutet »Schleich dich fort«. Follow the Drinkin’ Gourd wurde den Sklaven angeblich von einem Fluchthelfer namens Peg Leg Joe beigebracht (möglicherweise eine mythische Figur). Das Lied ermuntert einen, dem Sternbild des Großen Wagens zu folgen, und beinhaltet Strophen, die heute kaum mehr zu verstehen sind. Ging es um verschlüsselte Botschaften, um Hinweise für die beste Fluchtroute nach Norden?
Niemand weiß genau, wie viele Fluchthelfer mitmachten, aber einzelne davon kennen wir. Zum Beispiel William Still, auch »Vater der Untergrundbahn« genannt. Sein Erzeuger hatte sich einst freigekauft, seine Mutter war entkommen – zweimal –, musste aber zwei ihrer Söhne zurücklassen. In Philadelphia arbeitete Still für die »Pennsylvania Anti-Slavery Society«, von dort aus verhalf er über die nächsten Jahre bis zu 60 Sklaven zur Flucht – pro Monat. Er befragte jeden Einzelnen ausführlich, bevor dieser weiterfloh, schrieb für jeden eine kleine Biographie. Vielleicht plante er schon damals, ein Buch daraus zu machen, um der Anti-Sklaverei-Bewegung damit zu helfen. Vielleicht fürchtete er, dass seine Schützlinge gefangen oder umgebracht würden, und wollte, dass zumindest ihre Namen und Geschichten weiterlebten. Sein Buch The Underground Railroad erzählt die Geschichten von 649 entflohenen Sklaven und ist heute eine der wichtigsten Quellen, was diese
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