Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
Organisation betrifft.
Es war natürlich gefährlich, alles aufzuschreiben, hätte er sich aber nicht für jeden einzelnen Flüchtling interessiert, wäre er auch vermutlich nie auf Peter Freedman gestoßen, der sich beim Erzählen seiner Geschichte als sein Bruder entpuppte …
In den zwei Dekaden vor dem Bürgerkrieg wuchs die »Untergrundbahn« zu einer stattlichen Bewegung an, wobei die meisten Mitglieder – oft Prediger, Quäker, befreite Sklaven, weiße Abolitionisten und auch Indianer – nichts voneinander wussten, damit sie im Falle einer Verhaftung keine Verbündeten preisgeben konnten. Freie Schwarze gaben sich als Sklaven aus, schleusten sich auf Plantagen ein, sprachen die Sklaven gezielt an und verrieten ihnen, in welcher Nacht sie über welche Schleichpfade wohin fliehen konnten. Manche versuchten ihr Glück allein zu Fuß, andere wurden mit der Pferdekarre abgeholt. Etwa einen Tagesmarsch entfernt wurden sie in einer Scheune erwartet, wo sie tagsüber dann schliefen, bevor man sie über den nächsten Streckenabschnitt informierte. So wurden sie Schritt für Schritt nach Mexiko oder, im Normalfall, in den Norden geschleust.
Die einzelnen Helfer kommunizierten mündlich oder per verschlüsseltem Brief. Man verwendete die Terminologie der jungen Eisenbahn: Die Verstecke, wo die Flüchtlinge sich tagsüber ausruhten, hießen »station« (»Bahnhof«) und »depot« (»Lager«), die Helfer unterwegs »conductors« (»Schaffner«) und die Financiers »stockholders« (»Investoren« bzw. »Aktionäre«). Je mehr Erfolg die »Untergrundbahn« hatte, desto heftiger wurde aber auch die Gegenreaktion. Sklavenjäger – »slave hunters« genannt – kontrollierten die Landstraßen auf der Suche nach entflohenen Sklaven. Wenn sie keine fanden, schnappten sie sich freie Schwarze, verbrannten ihre Papiere und verkauften sie wieder.
Einer der überzeugtesten Gegner der Sklaverei war Levi Coffin, auch »President of the railroad« genannt. Das naive Söhnchen eines weißen Quäkers fragte einst mit sieben Jahren einen Sklaven, warum er denn Ketten trage. Dieser antwortete: »Damit ich nicht entkomme und zu meiner Frau und meinem Kind zurückkehre.«
Nach eigenen Angaben war Coffin ab diesem Moment überzeugter Abolitionist. Schon mit 15 half er seinem Vater, entflohene Sklaven zu verstecken. Später entdeckte er, dass die »Untergrundbahn« direkt durch seine Gegend führte, stellte seine Farm zur Verfügung, transportierte die Sklaven per Pferdewagen bei Nacht und war bald so erfolgreich in seinem Tun, dass er immer wieder von Sklavenjägern bedroht wurde. Einer soll einmal gesagt haben: »Es gibt eine ›Untergrundbahn‹ hier, und Levis Haus ist der Hauptbahnhof.« Als der Druck für die örtliche Quäkergemeinde zu groß wurde, empfahl sie ihren Mitgliedern dringend, nichts Illegales gegen die Sklaverei mehr zu unternehmen – und schlossen Coffin kurzerhand aus, als er dies ablehnte.
Im Gegenteil, er ließ sich immer mehr einfallen: Als er ein neues Haus baute, plante er gleich Geheimgänge ein, wo sich die Sklaven bei Durchsuchungen verstecken konnten. Seine Frau nähte Kleidung, mit der sie die Flüchtlinge als Hausdiener, Butler und Köche ausstaffierte. Am beliebtesten war das Kostüm »Quäkerfrau«: Der hohe Kragen, die Handschuhe und der große Hut mit Schleier ließen die Person unter dem Stoff fast verschwinden. Historiker schätzen, dass die Coffins über 2.000 Sklaven zur Flucht verholfen haben.
Auf noch dünnerem Eis bewegte sich Harriet Tubman, die bald unter dem Namen »Moses« bekannt wurde.
Sie wollte sich nie mit ihrem Los als Sklavin abfinden. Immer wieder rebellierte sie, floh, nahm Prügel und Peitsche in Kauf. Als sie weiterverkauft werden sollte, betete sie nächtelang verzweifelt, Gott möge ihren Herrn bloß davon abbringen, denn sie war verheiratet und hatte Familie. Als ihre Gebete nicht erhört wurden, flehte sie noch inbrünstiger, Gott möge ihren Herrn töten. Eine Woche später war er tatsächlich tot. Das war sicher eine Genugtuung, half ihr letztlich aber wenig, denn nun wurde natürlich all sein Besitz – auch seine Sklaven – verkauft.
Endlich gelang ihr die Flucht mit Hilfe der »Untergrundbahn«. Später sagte sie, als sie den Fluss nach Pennsylvania überquert habe, wo die Sklaverei schon verboten war, sei es gewesen, als ob sie den Himmel betreten hätte.
Als sie jedoch erfuhr, dass ihre Nichte verkauft werden sollte, half sie kurzentschlossen mit, sie nach
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