Planet außer Kurs (Orion 02)
Kommandokanzel herrschte ein Halbdunkel; das Licht, das vom runden Sichtschirm ausging und sich in der metallenen Decke voller konischer Glaselemente spiegelte, war mehr als genug. Um das Schiff war noch kein Schutzschirm aufgebaut worden, aber die Projektoren der Energiebatterie waren ausgefahren.
»Wieviel Zeit?« fragte Mario. Der Mann hatte während der letzten Stunden, in denen sich gewaltige Dinge entschieden, seinen phlegmatischen Eindruck restlos abgelegt. Das großflächige Gesicht zeigte die tiefen Linien der Sorge; die Stirn war voller Kerben. Unaufhörlich zuckte es um seinen Mund; Mario war hochgradig aufgeregt.
»Noch genau eine Minute, ehe das Gas heran ist.«
Die Besatzung hatte sich ausnahmslos angeschnallt. Niemand wußte, ob das Schiff diese Gewaltmaßnahmen überstand. Hasso wachte sorgenvoll über seine Energieanzeigen und über die Uhren und Zeiger der Maschinen.
»Zuerst die Barriere«, sagte Cliff. »Dann, zehn Sekunden später, unseren Schiffsschirm. Dann fünfundachtzig Sekunden Projektion. Anschließend ... Flucht in Richtung Linie alpha. Klar?«
Helga, die keinen Sinn darin sah, lediglich Störungen und Prasseln hereinzubekommen, drückte auf den viereckigen Hauptschalter des Funkgerätes. Die gesamte Maschine war abgeschaltet, und die lange Stabantenne wurde automatisch eingefahren.
»Funkstille!« sagte Helga trocken und lehnte sich zurück. Einen Augenblick lang schloß sie die Augen.
»Hasso – noch fünfundvierzig Sekunden!«
Cliff hatte leise gesprochen; dennoch schien es, als hätte er in der totenstillen Kommandokanzel gebrüllt.
»Verstanden!« gab Hasso zurück.
Cliff hielt die Finger über den Tasten und Hebeln. Atan hatte eine Schaltung durchgeführt: Vor Cliff zeigten eine Serie von Instrumenten die Temperatur an, das Näherkommen des Gases und den Abstand des festen Planeten; ferner war die große Schaltuhr der Projektoren in Cliffs Blickfeld. Sie war auf 85 eingestellt worden.
Die Sekunden vergingen viel zu schnell ...
»Hasso«, sagte Cliff. »Jetzt wird es knapp. In fünf Sekunden sämtliche Energie auf die Projektoren. Bist du bereit?«
»Vollständig.«
Hasso Sigbjörnson sah nicht einmal hoch.
»Drei Sekunden ... zwei ... eine ... jetzt!«
Hasso warf einen schweren Schalter herum. Ein Drittel der gespeicherten Schiffsenergie brach aus den Projektoren des Unterschiffes. Dreizehntausend Kilometer entfernt bildete sich im All, schon bedrohlich nahe des brennenden Gases, eine Barriere aus rötlicher Substanz. Es war reine Materie, die ungesättigt war und jedes Atom, das gegen sie prallte, augenblicklich absorbierte. Eine Mauer aus roter Farbe entstand im Nichts.
Dann kam der brennende Wasserstoff.
Er prallte gegen das Bollwerk, schien zu zögern und wurde aufgesaugt. In der leuchtenden Flut erschienen Lücken – dort, wo die Barriere stand, klaffte eine breite Schneise in der Kugel der Nova. In den Rändern der Barriere hatten sich die hungrigen Atome angereichert und bröckelten ab.
»Zehn Sekunden sind vorbei. Der Schutzschirm!« sagte Mario.
Cliff schaltete an seinem Pult. Das Schiff umgab sich mit einem Verteidigungsfeld, das vor der Hitze und dem Einfluß der Strahlung schützte. Das Bild des Planeten wurde diffuser, nicht mehr so unerträglich grell. Unbeweglich stand die ORION inmitten des Wasserstoffs und verschleuderte kostbare Energie nach außen.
»Die Barriere hält noch immer«, sagte Helga fast ungläubig und blickte auf die zitternden Lichtanzeigen des Kommandopultes. »Es ist erstaunlich.«
Der Planet besaß eine Eigengeschwindigkeit von 150.000 Kilometern. Dazu kam die Ausdehnungsgeschwindigkeit des Gases ... sie betrug 4500 Kilometer in einer einzigen Sekunde. Mit diesen addierten Geschwindigkeiten fegte die künstliche Nova der Barriere entgegen und prallte darauf. Noch hielt die Mauer stand, aber an den Rändern des energetischen Bauwerks bröckelten die Konturen.
»Vierzig Sekunden sind um!« mahnte Hasso laut.
»Verstanden!« erwiderte Cliff schnell.
Er bemerkte auf seinem runden Sichtschirm ein Schauspiel, das nur wenige Menschen jemals gesehen hatten; vielleicht war er der letzte Mensch, der jemals diese Dinge sah.
In der riesigen Kugel konzentrierte sich ein Schacht.
Das vernichtete Gas, das sich in der Barriere gefangen hatte, schloß sich nicht mehr zusammen. Die Folge war daß in der Substanz der Nova eine rechteckige Spur zurückblieb. Darin war nichts mehr: keine Glut von fünftausend Grad, kein Wasserstoff ...
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