Planeten 03 - Venus
des realen Objekts aus. Der ausladende Kegel des Hitzeschilds auf der Nase glich einem riesigen Sonnenschirm. Er sah irgendwie lächerlich aus und schien kaum geeignet, das Schiff vor der sengenden Hitze beim Eintritt in diese dicken gelben Wolken zu schützen.
»In Ordnung, durchzählen«, befahl Duchamp. Nichts tat sich. Stille.
»Ich sagte, durchzählen«, wiederholte Duchamp mit schneidender Stimme. »Mr. Humphries, als Eigner dieses Schiffs sind Sie die Nummer Eins. Oder haben Sie alles aus den Simulationen vergessen?«
Ich zuckte überrascht zusammen. »Ach so! Ja, natürlich. Nummer Eins gesichert.«
Während ich den vorgeschriebenen Spruch aufsagte, zerrte ich an der Leine, um mich zu vergewissern, ob sie auch wirklich gesichert war. Sie war fest.
Rodriguez antwortete als nächster, dann Marguerite. Während die anderen Besatzungsmitglieder Meldung machten, sagte ich mir erneut, dass Marguerites offiziellem Titel einer Missions-Wissenschaftlerin die reinste Farce war. Trotzdem war ich froh, dass sie uns begleitete. Ich konnte mit ihr reden. Sie behandelte mich nicht von
oben herab, wie ihre Mutter das an sich hatte; selbst Rodriguez ließ durchblicken – ohne sich dessen bewusst zu sein –, dass er mich im Grunde auch nur als einen reichen Jungen ansah, der Wissenschaftler spielen wollte.
»Alles klar«, sagte Duchamp. »Captain für Truax. Wir sind bereit zum Transfer.«
»Verstanden: Bereit zum Transfer, Captain. Hauptluftschleuse von Hesperos hat Zyklus durchlaufen, Außenluke offen und wartet auf Ihre Ankunft.«
»Systemprüfung auf Hesperos?«, fragte Duchamp.
»Alle aktiven Systeme auf Grün außer APU. Die ist offline.«
Das Außenstromaggregat war offline? Ich stutzte bei dieser Meldung. Doch weder Duchamp noch einer der anderen schien deshalb beunruhigt.
»Die Hauptluftschleuse ist grün?«, fragte Duchamp in scharfem Ton.
»Nein, Captain«, kam die unmittelbare Antwort. »Hauptluftschleuse blinkt rot.«
»Das ist schon besser«, sagte sie. Die Luftschleusenanzeige muss nämlich rot blinken, wenn die Außenluke offen ist. Ich sah förmlich Duchamps humorloses Grinsen, weil sie den EVA-Controller bei einer kleinen Nachlässigkeit ertappt hatte.
»Laufkatze aktivieren!«, befahl sie.
Ich spürte einen kaum merklichen Zug an der Leine, und dann bewegten wir alle uns auf die entfernte Hesperos zu. Wir beschleunigten und glitten an der langen Buckminster-Leine entlang wie eine Schule Elritzen, die durch einen Teich huschte.
Die Hesperos schien rasend schnell auf uns zuzukommen. Ich befürchtete, mit ihr zusammenzustoßen, sagte aber nichts. Manchmal würde man lieber sterben, als sich zum Narren zu machen.
Und dann verzögerte die Laufkatze gleichmäßig und hielt schließlich an, während wir sieben an den Leinen schwangen wie ein Team virtuoser Akrobaten in eine m stummen
Ballett, bis wir direkt auf die Hesperos blickten. Ich wunderte mich darüber, dass wir das Manöver vollführt hatten, ohne ineinander zu rumsen, doch wie Rodriguez mir später sagte, hatte hier die einfache Newtonsche Mechanik gewaltet. Respekt, Sir Isaac.
Die Laufkatze stoppte zirka zehn Meter vor der offenen Luke der Luftschleuse, wobei wir – unter Berücksichtigung der Leinenlänge – mit den Stiefeln einen knappen Meter oder so über der Hülle der Hesperos hingen. Wie wir es in den VR-Simulationen geübt hatten, klinkte Duchamp ihre Leine aus und ließ sich auf die Luke fallen. Sie ging in die Knie, als die Stiefel lautlos auf der Hülle auftrafen.
Sie betrat die Luftschleuse und verschwand für einen Moment im Dunkel. Dann steckte sie den Kugelhelm und den Oberkörper aus der Luke und winkte mir zu.
»Willkommen an Bord, Mr. Humphries«, sagte sie. »Als Eigner sind Sie der Erste, der die Hesperos betritt. Nach mir natürlich.«
VENUSORBIT
»Ich habe ein Dutzend Mal versucht, ihn zu erreichen, Mr. Humphries«, sagte die Kommunikationstechnikerin. »Er reagiert einfach nicht.«
Eine so lange Rede hatte die Kommunikationstechnikerin noch nie gehalten, seit ich ihr
zum ersten mal begegnet war. Ihr Name war Riza Kolodny. Sie war eine unauffällige junge Frau mit einem runden Gesicht und braunem Haar, das sie wie Grace Jones frisiert hatte. Vor ein paar Jahren war ein solches Styling aktuell gewesen. Sie war eine Hochschulabsolventin, die von Rodriguez ausgesucht und von Duchamp bestätigt worden war. Aus ihrem Dossier ging hervor, dass sie eine erstklassige Elektronikspezialistin war. Ihr
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