Planeten 03 - Venus
und tippte mir mit dem Zeigefinger ans Kinn.
»Machen Sie ein freundlicheres Gesicht, Van. Genießen Sie den Flug.«
Ich schaute ihr in die Augen. Sie schimmerten wie polierter Onyx. Spontan beugte ich mich zu ihr hinüber, legte ihr die Hand auf den Nacken, zog sie zu mir herüber und küsste sie fest auf den Mund.
Sie riss sich los. Ihre Augen funkelten irritiert, fast zornig.
»Nun aber mal langsam«, sagte sie.
Ich setzte mich wieder auf den Stuhl. »Ich ... du bist so wunderschön.«
Sie funkelte mich an. »Nur weil meine Mutter mit Tom geschlafen hat, musst du nicht glauben, dass du mich in dein Bett kriegst.«
Ich hatte das Gefühl, jemand hätte mir einen Schlag mit dem Hammer verpasst. »Was?
Was hast du gesagt?«
»Du hast mich schon verstanden.«
»Rodriguez und deine Mutter?« Die Entrüstung in
ihren Augen legte sich etwas.
»Willst du damit sagen, du wusstest nichts davon?«
»Nein!«
»Sie schlafen miteinander. Ich dachte, jeder an Bord wüsste das.«
»Ich aber nicht!« Meine Stimme klang wie das Kreischen eines kleinen Jungen, selbst in meinen Ohren.
Marguerite nickte, und ich sah bei ihr den Ausdruck der Bitternis, den ihre Mutter ständig verströmte.
»Seit wir die Erdumlaufbahn verlassen haben. Auf diese Art löst meine Mutter Personalprobleme.«
›EINTRITT IN FÜNF MINUTEN.‹
»Wir sollten uns anschnallen«, sagte Marguerite. »Warte«, sagte ich. »Du willst damit sagen, dass deine Mutter mit Rodriguez bumst, um ihm den Umstand zu versüßen, dass sie Kapitän und er nur der Erste Offizier ist?«
Marguerite antwortete nicht. Sie konzentrierte sich aufs Anlegen der Sicherheitsgurte.
»Nun?«, hakte ich nach. »Ist es das, was du damit sagen willst?«
»Ich hätte es überhaupt nicht erwähnen sollen«, sagte sie. »Das war ein richtiger Schock für dich.«
»Ich bin überhaupt nicht schockiert!« Sie sah mich für einen langen Moment mit unergründlichem Gesichtsausdruck an. »Ja, ich sehe, du bist wirklich nicht schockiert«, sagte sie schließlich.
»Es ist nichts Neues für mich, dass Männer und Frauen Sex miteinander haben«, sagte ich zu ihr. »Natürlich nicht.«
Dann schoss mir ein neuer Gedanke durch den Kopf. »Du ärgerst dich über deine Mutter, stimmt’s?«
»Ich bin nicht ärgerlich. Ich bin auch nicht schockiert. Ich bin nicht einmal überrascht.
Ich wundere mich nur darüber, dass du schon wochenlang in dieser Sardinenbüchse eingepfercht bist und trotzdem keinen blassen Schimmer hast, was hier abgeht.«
Ich musste mir eingestehen, dass sie recht hatte. Ich war wie ein Schlafwandler gewesen. Oder vielmehr wie ein Clown. Ich hatte mich im Bewusstsein gesonnt, der Eigner zu sein, der Mann am Steuer. Und derweil geschahen all diese Dinge, ohne dass ich auch nur den geringsten Hinweis darauf hatte.
Ich sackte auf dem Stuhl zusammen.
Ich fühlte mich wie betäubt und kam mir vor wie letzte der Depp. Mit steifen Fingern fummelte ich an den Sicherheitsgurten herum und vermochte den Blick nicht von Marguerite zu wenden. Ich verstand die Welt nicht mehr.
Sie erwiderte meinen Blick und schaute mir in die Augen. »Ich bin nicht wie meine Mutter, Van. Ich bin vielleicht ihr Klon, aber ich bin nicht wie sie. Vergiss das niemals.«
›EINTRITT IN VIER MINUTEN. ‹
EINTRITT
Während die Hesperos mit kaum mehr als sieben Kilometern pro Sekunde durch die ›Waschküchen‹-Atmosphäre der Venus flog, zündete sie die Bremsraketen auf die Millisekunde genau, die im Eintrittsprogramm vorgesehen war.
Ich saß in der Beobachtungskuppel angeschnallt auf dem Sitz und spürte, wie ein Ruck durch das Schiff ging – wie wenn ein Autofahrer Gas gibt und dann leicht auf die Bremse tritt.
Ich beugte mich so weit vor, wie die Sicherheitsgurte das zuließen. Durchs schräge Sichtfenster sah ich den Rand des Hitzeschilds und dahinter die safrangelben Wolken, die den Planeten vollständig einhüllten.
Nur dass die Wolken nicht mehr glatt waren. Hier und da sah ich Risse, die wie Luftschlangen über der eigentlichen Wolkendecke trieben, und gewellte Muster wie Wogen, die über ein tiefes Meer rollten.
Auch Marguerite schaute hinaus, so dass ich ihr Gesicht nicht ganz sah, sondern nur im Dreiviertel-Profil. Sie schien angespannt und umklammerte die Lehnen des Stuhls.
Nicht übermäßig angespannt, ängstlich auch nicht, aber einen entspannten Eindruck machte sie nun auch wieder nicht.
Was mich betraf, so umklammerte ich die Armlehnen des Stuhls so fest, dass die
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