Planeten 03 - Venus
NOTFALLSTATIONEN !‹
ÜBERHITZUNG
Sie alle rannten an mir vorbei durch die Luke und ließen mich allein in der Besatzungsunterkunft zurück. Meine Koje war verwüstet, und die anderen hatten gerade mein Leben bedroht. Und ich machte mir Sorgen, weil ich nicht wusste, wo meine Notfallstation war.
Der Kapitän würde es natürlich wissen. Also trottete ich den Gang entlang zur Brücke.
Alle Stationen waren besetzt, wie ich sah.
Fuchs schaute von den Bildschirmen auf. »Mr. Humphries. Ich bin ja so froh, dass Sie sich entschlossen haben, zu uns zu stoßen.«
Sein Sarkasmus war ätzend. Unschlüssig blieb ich an der Luke stehen.
»Übernehmen Sie die Kommunikationskonsole, Humphries!«, blaffte er. Dann rief er der Frau, die schon dort saß, einen harschen Befehl zu.
Sie erhob sich und floh förmlich von der Brücke. Ich übernahm die Kommunikationskonsole. Trotz des Notfalls funktionierten die Kommunikationssysteme normal, wie ich sah. Die automatisierte Telemetrieboje funktionierte auch ordnungsgemäß. Auf allen Interkom-Kanälen des Schiffs ertönten Stimmen, die ich nicht verstand.
»Soll ich einen Notruf absetzen, Sir?«, fragte ich.
»An wen denn?«, erwiderte er.
»Ans IAA-Hauptquartier in Genf, Captain. Wir sollten die wenigstens über unsere Lage informieren.«
»Die telemetrischen Daten setzen sie schon ins Bild. Im Übrigen wird Funkstille gewahrt.«
Zumal ich wusste, dass ein Notruf völlig sinnlos gewesen wäre. Wir waren neunzig Millionen Kilometer von der nächst möglichen Rettungsoption entfernt. Nicht einmal die Truax, die im Orbit über uns stand, vermochte in die Atmosphäre einzutauchen und uns zu Hilfe zu kommen.
Für Stunden saßen wir in gespanntem Schweigen auf der Brücke. Ich schwitzte, und nicht nur wegen der zunehmenden Hitze. Ich hatte Angst, kreatürliche Angst. Eine fiese Stimme im Kopf sagte mir mit beißender Ironie, dass, falls die Besatzung den Wärmeaustauscher zu reparieren vermochte und das Schiff rettete, ihre nächste Handlung darin bestehen würde, mich zu töten. Vielleicht wäre es besser, wenn wir gleich abstürzten, sagte ich mir.
Es war von vornherein Wahnsinn gewesen, jeder einzelne Millimeter dieser verrückten Expedition zur Venus. Was hatte mich überhaupt dazu bewogen? Ich zermarterte mir das Gehirn bei der Suche nach einer Erklärung für mein idiotisches Verhalten. Es war jedenfalls nicht das Geld, sagte ich mir. Es war auch nicht die vage Hoffnung, mir den Respekt meines Vaters zu erwerben.
Es war Alex. Mein Leben lang war Alex der einzige Mensch gewesen, auf den ich mich verlassen konnte. Er hatte mich beschützt, mir Mut gemacht und durch sein Beispiel gezeigt, wie ein Junge zum Mann werden sollte. Er war alles gewesen, was ein großer Bruder sein sollte, und noch mehr.
Ich tue das für dich, Alex, sagte ich mir, während ich die Kommunikationsbildschirme beobachtete. Ich sah den schwachen Widerschein meines Gesichts im Hauptbildschirm vor mir.
Ich sah überhaupt nicht aus wie Alex. Es hätte keine ungleicheren Brüder geben können.
Doch Alex hatte mich geliebt. Und ich war bereit, mein Leben zu geben, um mich dieser Liebe, dieses Vertrauens würdig zu erweisen. Es war eine eitle, egozentrische Entschuldigung, sagte ich mir. Aber sie entsprach auch der Wahrheit.
»Zeigen Sie mir die Wärmeaustauscher-Bucht«, befahl Fuchs.
Ich riss mich aus den Gedanken, rief den Grundriss des Schiffsinnenraums auf und tippte auf den Bereich, der als WÄRMEAUSTAUSCHER-BUCHT markiert war. Auf dem Monitor erschien eine Darstellung vier mit Gurten gesicherter Besatzungsmitglieder, die im Schweiße ihres Angesichts den defekten Wärmeaustauscher instandzusetzen versuchten. Bahadur schien der ›Vorarbeiter‹ zu sein. Es befremdete mich, als ich sah, dass unter den mit freiem Oberkörper arbeitenden
Besatzungsmitgliedern zwei Frauen waren. Ihre Kameraden achteten aber nicht auf deren Blöße.
Fuchs sprach mit Bahadur in dessen Sprache, wobei er ihn regelrecht anknurrte. Ich stöpselte mir einen Ohrhörer ins rechte Ohr und aktivierte das Übersetzungsprogramm.
Ich hätte sie mir genauso gut im O-Ton anhören können. Sie sprachen in einem hochspezialisierten Fachjargon, den ich so gut wie nicht verstand. Anscheinend war durch eine Verstopfung in einer der Hauptrohre ein expandierender Hot Spot entstanden, der die feuerfeste Keramikauskleidung des Rohrs angriff. Fuchs sprach gegenüber der malochenden Besatzung sarkastisch von einer
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