Planlos ins Glueck
maximal fünfundvierzig Prozent ihrer Brüste bedeckte.
Asozial, dachte Jane unwillkürlich. Dann zuckte sie zusammen und schüttelte den Kopf. Sie wusste, dass es falsch war, Menschen nur nach dem Äußeren zu beurteilen. Und sie wusste auch, dass es sich dabei um einen Selbstschutzmechanismus handelte. Aber das änderte nichts daran, dass sie Frauen in winzigen Leder-Outfits verachtete. Diese Abneigung war nichts weiter als eine reflexartige Reaktion auf ihre eigene schäbige Vergangenheit, und sie wusste nicht, wie sie diesen Teufelskreis durchbrechen sollte.
Aber sie wollte ihn durchbrechen. Weil sie ganz genau wusste, dass sie jedes Mal, wenn sie jemand anderen vorschnell verurteilte, eigentlich über sich selbst richtete. Und das war nicht gesund.
Sekunden später knatterte ein Motorrad an ihr vorbei. DerFahrer hatte erstaunliche Ähnlichkeit mit Jessie. Sofort schoss Jane der Gedanke durch den Kopf, dass ihr Bruder freigelassen worden war. Aber natürlich war er es nicht. Erstens besaß er keine Harley, und zweitens saß er immer noch in Untersuchungshaft.
Aber der Schock hatte sie auf eine Idee gebracht. Jane trat in die Bremsen und fuhr auf den Seitenstreifen, um den Wagen zu wenden. Jessie und seine Freunde hingen meistens im Ryders herum. Vielleicht konnte sie ja herausfinden, wer der Dealer war. Oder erfahren, wie das Mädchen mit der Überdosis hieß.
Sie hielt am äußersten Rand des Parkplatzes, schloss das Auto ab und rüttelte zur Sicherheit kurz an der Klinke. Dann klemmte sie sich ihre Handtasche fest unter den Arm – immerhin wusste sie ja, was Jessie und seine Freunde im Ryders so trieben – und stöckelte über den knirschenden Kies zu der hölzernen Eingangstür. Keine Fenster. Die Klientel des Ryders hatte es nicht so mit dem Tageslicht.
Die Sonne schien noch, aber drinnen herrschte Dämmerstimmung. Düstere Dämmerstimmung. Bis auf die Neon-Bierreklamen konnte Jane im ersten Augenblick nichts erkennen. Eine Weile stand sie blinzelnd im von dröhnender Rockmusik erfüllten Eingangsbereich und wartete darauf, dass sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Dann zeichnete sich langsam die Bar aus den Schatten ab. Sie sah noch genauso aus wie vor fünfzehn Jahren, als Jane sich hier von älteren Männern ins Dekolleté hatte starren lassen.
Und genauso wie damals wurde sie auch jetzt von allen anwesenden Männern angestarrt. Vermutlich aber nicht aus denselben Gründen. Damals hatten ihr blondiertes Stachelhaar und ihr dickes Make-up förmlich nach Aufmerksamkeit geschrien. Heute sah Jane Morgan aus wie eine Frau, die sich in der Tür geirrt hatte.
Entschlossen schob sie das Kinn nach vorn und marschierte auf das nächstbeste Rudel Biker zu.
7. KAPITEL
C hase stützte das Handgelenk auf dem Lenkrad ab, kniff die Augen zusammen, blinzelte gegen das Licht der untergehenden Sonne und versuchte, das Display seines Handys zu erkennen. Er hatte Jane noch nicht angerufen und war sich deswegen nicht ganz sicher, warum er alle paar Minuten nachsah, ob sie ihm eine SMS geschickt hatte. Sein Verhalten ergab überhaupt keinen Sinn. Andererseits war Jane aber auch diejenige gewesen, die ihn am Freitag unerwartet angerufen hatte.
Er hätte gerne geglaubt, dass er sich nicht bei ihr gemeldet hatte, weil er sie schmoren lassen, sie ein bisschen hinhalten wollte. Aber die Wahrheit lautete, dass sein Vater angerufen hatte. Und seitdem bestand keinerlei Hoffnung mehr darauf, dass Chase heute Abend mit Jane ausgehen würde.
Sein Dad hatte seinen üblichen Spruch auf der Mailbox hinterlassen: „Hallo Sohnemann! Ganz schön lang her, dass du deinem alten Herren einen Besuch abgestattet hast. Warum kommst du nicht zum Essen vorbei?“
Leider sprach Chase die Geheimsprache seines Vaters fließend. Zwischen den Zeilen bedeutete seine Nachricht: „Ich bin pleite und brauche Bier. Kauf zwei Kisten und Zigaretten und bring deine Beute in mein Haus. Und wenn du dich dann besser fühlst, kannst du meinetwegen auch Sandwiches mitbringen.“
Früher hatte Chase immer Magenschmerzen bekommen, wenn sein Dad sich gemeldet hatte. Aber diese Zeiten waren vorbei. Er hatte eine Menge über Abhängigkeit und manipulative Familienmitglieder gelesen. Im Kofferraum seines Trucks befand sich kein Bier, sondern eine Tüte mit Lebensmitteln.
Kurz vor der engen Kurve neben dem Ryders ging er vom Gas – und drückte im nächsten Moment die Bremse durch. Mitten zwischen den Motorrädern und Pick-ups stand ein blank
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