Planlos ins Glueck
blassen Schimmer habe, was das mit mir zu tun hat. Jessie ist ein- undzwanzig Jahre alt, Mom. Er ist erwachsen, genau wie ich.“
„Ach Jane …“ Ihre Mutter seufzte. „Du weißt doch, dass er nicht dieselben guten Startvoraussetzungen hatte wie du, Schätzchen.“
Jane umklammerte das Handy etwas fester und starrte wütendauf einen Sonnenfleck, der direkt auf Mr Jennings Bürotür fiel. Gute Startvoraussetzungen. Diese Frau lebte in einer Traumwelt.
„Er ist nun mal nicht so klug wie du.“
Nach einem tiefen Atemzug hatte ihr Blutdruck sich halbwegs normalisiert. „Ich hatte dir doch gesagt, dass du mich nur in absoluten Notfällen bei der Arbeit anrufen sollst.“
„Aber das ist doch ein Notfall!“
„Nein, ist es nicht. Ein erwachsenerMann gilt nicht als vermisst, nur weil er sich mal achtzehn Stunden lang nicht bei seiner Mutter meldet. Vor allem nicht, wenn dieser erwachsene Mann gerne trinkt und dann willige Tresenbekanntschaften abschleppt.“
„Das ist jetzt aber wirklich gemein von dir!“
„Mom, tut mir leid, aber ich muss auflegen. War sonst noch was?“
„Hm, ich glaube nicht … Doch, warte! Kommst du an deinem Geburtstag bei uns vorbei?“
Jane krümmte sich vor Widerwillen. Ehe sie sich von Greg getrennt hatte, hatte sie die perfekte Ausrede gehabt, um nicht mit ihrer Familie feiern zu müssen. Aber jetzt … Insgeheim hatte sie sich gewünscht, dass ihre Mutter ihren Geburtstag einfach vergessen würde. Doch so viel Glück hatte sie leider nicht. Ihre Mutter war in Erziehungsfragen zwar eine absolute Niete gewesen, aber nicht, weil es ihr an Freundlichkeit oder Großzügigkeit gemangelt hätte. Tatsächlich war genau das Gegenteil der Fall gewesen. Nur dass Jane in ihrer Kindheit keine beste Freundin, sondern eine Mutter gebraucht hätte.
„Tut mir leid, Mom, aber ich habe schon was vor.“
„Oh, etwa mit deinem neuen Freund?“
„M-hm, ja.“
„Du könntest ihn doch einfach mitbringen.“
Jane versuchte, sich Greg im Haus ihrer Mutter vorzustellen. Das Bild, das vor ihrem inneren Auge entstand, schien sämtlichen Naturgesetzen zu widersprechen. Er hätte es nicht weiter als bis zu dem ausgebrannten Wagen im Vorgarten geschafft.
„Dein Dad hat endlich den Corvair zum Schrottplatz gebracht“, fügte ihre Mutter hoffnungsvoll hinzu.
Ach, dann. Kein ausgebranntes Auto mehr im Vorgarten. Damit blieb nur noch … der ganze Rest. Ihre Familie, der Laden, das Haus und die etlichen anderen ausrangierten Fahrzeuge, die überall vor sich hin rosteten. Vielleicht hatte ihre Mom mittlerweile ja auch den Hühnerstall gebaut, den sie seit Jahren haben wollte.
„Nein danke, Mom. Ich meld mich bald bei dir.“
„Oh, okay.“
Jane ignorierte die offensichtliche Enttäuschung in der Stimme ihrer Mutter, legte auf und sah zu, wie das Display schwarz wurde. Was sagte es nur über sie aus, dass sie an ihrem Geburtstag lieber alleine sein wollte, als Zeit mit ihrer Familie zu verbringen? Was für ein Mensch war sie eigentlich?
Das altbekannte Schuldgefühl grub seine Klauen in ihr Herz und drückte zu.
Seit sie erwachsen war, konnte Jane die Fehler, die ihre Mutter gemacht hatte, viel klarer erkennen. Keine ihrer Entscheidungen hatte auf böser Absicht beruht. Sie waren einfach nur durch Unreife und Verzweiflung entstanden. Das Leben, das sie Jane zugemutet hatte – die Armut, die Gefängnisbesuche, die ständigen Umzüge -, war das einzige Leben, das ihre Mutter jemals kennengelernt hatte. Und wenn ihr Stiefvater nicht so früh eingegriffen hätte, wäre Jane wohl schnurstracks in ihre Fußstapfen getreten.
Deswegen war sie nicht mehr wirklich wütend auf ihre Mom. Sie fühlte sich in ihrer Gegenwart einfach nur … unwohl.
Ihre Familie, also ihre Mom, ihr Stiefvater und ihr Bruder, wusste, wer Jane wirklich war. Was für eine Art Mädchen sie früher gewesen war. Und sie durchschauten ihre vorgebliche Verwandlung in eine konservative Geschäftsfrau.
Ihre Familie war nicht das Problem. Das Problem war, dass Jane Morgan eine Schwindlerin war. Und sie mochte es nicht, an diese Tatsache erinnert zu werden.
Es war besser, dafür zu sorgen, dass die beiden Seiten ihres Lebens möglichst keine Berührungspunkte hatten. So würde niemand verletzt werden. Vor allem nicht Jane.
William Chase drehte die Anlage auf und drückte aufs Gaspedal. Frische Frühlingsluft drang durch die weit geöffneten Fenster, zusammen mit einem Hauch von Straßenstaub. Chase war das egal. Nach so einer
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