Planlos ins Glueck
wirklich eine riesige Erleichterung für mich, dass Jessie im Gefängnis sitzt. Die ganzen Termine vor Gericht und die heimlichen Besuche im Gefängnis haben meinen Ruf immens verbessert. Ganz zu schweigen davon, dass ich endlich die grauenhaften Ersparnisse losgeworden bin, die so schwer auf mir gelastet haben. Ach, was war das nur für eine schöne Zeit! Mom, Jessie ist einundzwanzig, und er benimmt sich wie ein Kleinkind. Und jetzt willst du ihm schon wieder die Verantwortung für alles abnehmen.“
„Ich bin seine Mutter!“, kreischte ihre Mom. Tränen tropften von ihren schwarz getuschten Wimpern. „Es ist mein Job, ihn zu beschützen!“
Hunderte von Dingen, die sie immer schon hatte sagen wollen, brannten Jane auf der Zunge. Grausame Dinge, die sich über Jahre hinweg in ihr angestaut hatten.
Sie hat ihr Bestes gegeben, sagte sich Jane. Sie kannte keinen anderen Weg.
Aber ihre Mom hätte es besser wissen sollen . Sie hätte wissen sollen, dass man ein kleines Mädchen nicht jeden Monat ins Gefängnis mitschleifte. Und dass man einem kleinen Mädchen nicht Jahr für Jahr einen neuen „Daddy“ vorstellte. Besonders dann nicht, wenn es sich bei diesen Daddys um riesige, gruseligeTypen mit kalten Augen und vernarbten Händen handelte. Sie hätte wissen müssen, dass es schon schlimm genug war, in der Wohnwagensiedlung zu hausen. Dass das Stigma der Knastgroupies mehr war, als ein Kind ertragen konnte. Und dass kein Mensch sein Kind auf die Geburtstagsparty der Stieftochter eines verurteilten Mörders gehen ließ, ganz egal, wie hübsch die Einladung aussah.
Doch es hatte keinen Sinn, ihrer Mutter das an den Kopf zu werfen. Jane war jetzt eine erwachsene Frau, und es war an der Zeit, dass sie die alten Vorwürfe vergaß. Und obwohl sie es für einen großen Fehler hielt, Jessie aus dem Gefängnis zu holen, hatte ihre Mom nur das Beste für ihren Sohn im Sinn.
„Okay“, presste sie heraus. „Tu, was du nicht lassen kannst. Aber ruf mich an, wenn es Schwierigkeiten gibt. Ich führe vielleicht ein schickes Leben, aber auch ich tue, was ich kann, um Jessie zu helfen.“
Auf unsicheren Beinen ging sie davon. Ihr Magen fühlte sich an, als würde sich eine riesige Faust darum schließen. Ihre eigene Mutter hielt sie für ein egoistisches Miststück. Chase hielt sie für ein egoistisches Miststück. Und genau das war sie auch: fest entschlossen, sich alles zu nehmen, was sie haben wollte. Erfolg. Ansehen. Sicherheit.
Ihre Mutter dagegen hatte so gut wie nichts vom Leben erwartet. Sie war stolz darauf gewesen, die Zuneigung von einsamen Kriminellen zu gewinnen, die hinter Gittern saßen. Männern, die seit zehn Jahren keine Frau mehr zu Gesicht bekommen hatten. Das war ihre Vorstellung von Leistung gewesen. Sie hatte nichts für sich selbst gewollt. Nicht mal einen Mann, den sie anfassen konnte.
Sie hatten nichts gemeinsam – warum also hatte Jane so eine fürchterliche Angst davor, wie ihre Mutter zu werden?
Jane blieb vor ihrem Auto stehen, doch ihr Daumen schwebte reglos über dem Entriegelungsknopf an ihrem Schlüsselbund. Wohin wollte sie überhaupt fahren? Zur Arbeit? Zu Jessies Anwältin? Nach Hause?
Die Wut, die ausgesprochenen und unausgesprochenen Worte und das Bedauern fraßen sie von innen her auf. Plötzlich wünschte sie sich eine zweite Explosion. Eine, die all ihre Gefühle an die Oberfläche zwingen würde.
Wenn Chase nicht sauer auf sie gewesen wäre, hätte sie ihn angerufen und ihm einen Quickie vorgeschlagen.
Mist .
Jane holte ihr Handy raus und ging ihre Kontakte durch, die fast alle beruflich waren. Als sie schließlich auf „Wählen“ drückte, betete sie, dass sie gerade keinen riesigen Fehler machte.
Lori Love öffnete zwei Bierflaschen und reichte Jane eine davon. „Komm, wir setzen uns ins Wohnzimmer.“
Jane nahm die Flasche mit skeptischem Blick entgegen. Es war gerade mal halb fünf. War das in der besseren Gesellschaft nicht etwas zu früh für das erste Bier? Sie folgte Lori in das fröhlich eingerichtete Wohnzimmer. „Oh, das ist aber hübsch hier!“
Lori wirkte überrascht, als Jane sich in dem blassgelb gestrichenen Raum umsah. Die weißen Vorhänge bauschten sich in der Frühlingsbrise. „Danke.“ Dann bemerkte sie, dass Jane sich fast schon verzweifelt an ihrer Bierflasche festklammerte. „Brauchst du ein Glas?“
„Oh …“ Brauchte sie denn eins? Es war Jahre her, dass sie zuletzt Bier aus der Flasche getrunken hatte. „Nein, alles gut.
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