Plasma
einzige Zelt im Lager, einen mit Netzen und Erde getarnten Unterstand, der an der Längsseite eines Lastwagens errichtet worden war und sich kaum gegen die Felswand abhob. In anderthalb Tagen hatte Cam sie nur zweimal gesehen, beide Male in eine Diskussion mit Deborah, Hernandez und Gilbride vertieft – und so sehr er sich auch danach sehnte, sie zu berühren, er hatte es doch vermieden, sich ihr zu nähern. Ihre Arbeit kam zuerst. Cam war eifersüchtig auf Deborah, die sich als Ruths rechte Hand unentbehrlich machte. Deborah kümmerte sich um die Blutproben vom Silvan Mountain. Sie fand es auch nicht unter ihrer Würde, Ruth das Essen zu holen oder ihren Toiletteneimer auszuleeren.
Cam musste aufpassen. Er hatte einen Fehler begangen, als sie sich das letzte Mal in dieser Situation befunden hatten. In Grand Lake hatte er Trost bei Allison gesucht, als Ruth sich in ihrem Labor einigelte.
»Okay, machen wir Feierabend«, sagte Goodrich. Er schlang sich zwei der M4s über die Schulter. Cam und Foshtomi folgten seinem Beispiel und erhoben sich ebenfalls. Der Sonnenuntergang ging in Dunkelheit über. In einer halben Stunde begann ihr Wachdienst.
Als Cam neben Foshtomi zum zweiten Armeelaster ging, warf er unwillkürlich einen Blick zu Ruths Zelt. Es war eine schäbige Behausung für die größte Hoffnung des Landes. Ob zwanzig oder fünfhundert Soldaten, sie konnten Ruth nie und nimmer vor Artillerie- oder Flugzeugangriffen schützen. Und er am allerwenigsten, dessen war er sich bewusst. Ihm fehlte die Ausbildung, sein Ohr machte Probleme, und er litt unter den stummen Anfeindungen der Marines.
Er hätte auf eigene Faust losziehen können, wenn er denn gewusst hätte, wohin. Der Drang, sich einfach wieder in Bewegung zu setzen, war stark, und er ordnete ihn durchaus richtig ein: überreizte Nerven, Zweifel und ein altes Trauma. Aber er fragte sich, ob er es jemals wieder schaffen würde, irgendwo sesshaft zu werden. Selbst wenn Ruth ihm die Chance gab oder Allison oder sonst jemand – Cam befürchtete, dass er für immer auf der Flucht vor sich selbst bleiben würde.
»Da ist sie«, sagte Foshtomi, als Laternenlicht durch die Schlucht sickerte. Zwei Silhouetten schlugen den seitlichen Zelteingang zurück. Deborah und Ruth.
Unmittelbar vor den beiden Frauen zog einer der Marines den Kopf ein, als ihn der gelbe Schein umfloss. Hernandez hatte eine totale Verdunkelung angeordnet. »Hey!«, rief jemand. Ruth schien zu zögern, aber Deborah, die größere der beiden Gestalten, ließ die Eingangsklappe los.
Cam stellte seine Feldflasche ab und ging auf die beiden Frauen zu. Er blinzelte, um sich wieder auf Nachtsicht umzustellen. »Warte, Cam!«, sagte Goodrich. Er blieb nicht stehen. Wenn ihm der Sergeant später dafür einen Rüffel erteilte, konnte er sagen, dass er auf dem einen Ohr immer noch taub war.
»Wo ist General Hernandez?«, fragte Deborah die Soldaten vor dem Zelt. Sie hatte einen Arm um Ruths Taille gelegt und sprach für sie. Ruth hatte das Gewicht auf die gesunde Hüfte verlagert. Cam schob sich an den Marines vorbei, um an ihre Seite zu gelangen. Einer der Marines entgegnete etwas. Cam verstand nur: »… im Moment«, aber der Mann streckte den Arm aus, um seine Worte zu unterstreichen, und das reichte. Cam versuchte sich im Dunkel ein Bild über Ruths Gesundheitszustand zu machen.
Sie entdeckte ihn und lächelte.
»Wie geht’s?«, fragte sie. Dann wurden sie wieder getrennt, als die Marines eine Gasse für Deborah und Ruth öffneten. Ruth drehte sich noch einmal nach ihm um. Mondlicht schimmerte in ihrem weichen Lockengewirr.
Was hast du entdeckt?, dachte Cam. Er kannte ihre Stimmungen gut genug, um dieses Gemisch aus Erschöpfung und Zufriedenheit richtig zu deuten. Gute Nachrichten. Sie hatte gute Nachrichten, und das bedeutete, dass keiner ihrer Verluste vergeblich gewesen war. Aufregung hatte ihn erfasst, und ein Grinsen stahl sich über sein Gesicht, als er der Gruppe folgte. Ein kalter, lebhafter Wind strich durch die Schlucht und löste eine neue Bewegung aus. Immer mehr Soldaten schlossen sich ihnen an. Zwar befanden sich die meisten der sechsundzwanzig Ranger und Marines in Schützenlöchern außerhalb der Schlucht, aber der Rest kam in Zweier- und Dreiergruppen näher und scharte sich um Ruth.
Der Jeep war wie die Lastwagen mit Netzen getarnt. Hernandez schlief neben dem Fahrzeug, da es mit einem Funkgerät ausgestattet war. Ein Corporal der Marines saß in seiner Nähe, an einen
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