Plastikfreie Zone
Leitungswasser auf Vis keine Trinkwasserqualität besitzt, sehen wir uns mit einem ähnlichen Problem wie zu Silvester auf der Skihütte konfrontiert. Leider kommen Gerhards alte Edelstahlkanister wegen des enormen Platzbedarfs und des beträchtlichen Gewichts diesmal nicht als Alternative infrage. Wir selbst besitzen zwar inzwischen drei 5-Liter-Glasflaschen, aber damit dürften wir nicht weit kommen bei einem zehntägigen Urlaub.
Zum Glück unterstützt uns nach wie vor ein Teil unseres Freundeskreises sehr tatkräftig bei unserem Experiment, und so ruft Veronika ein paar Tage vor der Abreise an und berichtet, sie habe in der Lagerhausfiliale ihres Wohnorts Edelstahlkanister in zwei verschiedenen Größen gefunden, die für unsere Zwecke absolut geeignet wären. Kurz darauf bin ich im Besitz eines 15-Liter-Kanisters mit Zapfhahn, der mit den drei Glasflaschen unsere Wasserversorgung zumindest für die ersten Tage des Urlaubs sichern wird. Dann müssen wir halt weitersehen. Dem plastikfreien Urlaub am Meer steht also nichts mehr im Wege, zumindest nicht was uns betrifft.
Eine Szene auf der Fähre von Split nach Vis stimmt mich dann auf amüsante Weise darauf ein, dass wir mit unserem weitgehend plastikfreien Urlaubsequipment kaum den Nerv der Zeit treffen. Vom Sonnendeck aus beobachte ich ein sehr spezielles Ritual dreier Frauen. Zuerst wischen sie eine Kunststoffsitzbank fein säuberlich mit Reinigungstüchern ab, die sie sorgfältig in die Plastikhülle zurückstecken, bevor das Ganze im Mülleimer landet. Danach nebeln sie die gesamte Bank gründlich mit Desinfektionsspray ein und decken anschließend die Sitzfläche vollständig mit Plastik ab. Ich bin fast erstaunt, dass sie anschließend nicht noch einmal desinfizieren, sondern sich endlich auf der mittlerweile sicher fast keimfreien Fläche niederlassen und mit großem Eifer beginnen, ihre Fingernägel zu lackieren. Es ist ein faszinierendes Bild, und ich wende mich erst ab, als mir die aufsteigende Geruchsmischung unangenehm in die Nase dringt.
Plastik und Hygiene, eine unendliche Geschichte – egal, ob es um die Verpackung von Lebensmitteln oder um die Reinigung von Sitzbänken geht.
Auf der Insel Vis erwarten uns neben den unverändert wunderbaren Meeresbuchten und Stränden einige positive Überraschungen. Zum einen entdecken wir beim ersten Gang in den Supermarkt, dass es hier verschiedene Sorten Mineralwasser in Pfandglasflaschen gibt – ein Luxus, der in österreichischen Supermärkten durchaus nicht mehr selbstverständlich ist. Außerdem erklärt uns die Quartiergeberin in unserem Apartment, dass das Leitungswasser auf Vis Trinkwasserqualität besitze, woraufhin wir beschließen, es zumindest zum Kochen zu verwenden.
Unverändert negativ fällt allerdings, wie befürchtet, die Allgegenwärtigkeit des Plastikmülls auf. Schon von der Fähre aus konnte man ihn sehen, selbst dort wo das Meer wunderbar blau und türkis, klar und weit schien. Kaum meinte man einen freien Fleck entdeckt zu haben, tauchte das nächste schwimmende Plastikstück auf. Mir begann zu dämmern, dass es wohl nichts würde mit meiner netten Illusion, Vis könnte unverändert eine kleine, saubere Insel der Seligen sein. Unter dem Eindruck der unglaublichen Schönheit von Meer und Inselwelt war ich allerdings gewissermaßen bereit, diese »kleinen« Störfaktoren zu übersehen, zumal ich zu diesem Zeitpunkt keine Vorstellung vom tatsächlichen Ausmaß der Verschmutzung hatte. Ich sollte es früh genug merken.
Vis, lange Zeit militärisches Sperrgebiet, wurde erst nach dem Zusammenbruch des Vielvölkerstaats Jugoslawien in den Neunzigerjahren für Ausländer zugänglich gemacht und blieb deshalb zum Glück bislang von den Begleiterscheinungen des Massentourismus verschont. In der Stadt Vis steht nach wie vor das einzige kleine Hotel der Insel, sonst gibt es nur Apartments, Zimmer oder Häuser zu mieten.
Unsere Unterkunft liegt in dem kleinen Örtchen Rucavac, hat eine große Terrasse mit Blick aufs Meer und auf die vorgelagerten Inseln. Eine Perspektive, aus der sich das Bild einer heilen Inselwelt ganz gut aufrechterhalten lässt. Desgleichen verlaufen die ersten beiden Strandbesuche relativ harmlos. In der nahe gelegenen Bucht, die uns unsere Wirtin empfohlen hat, stehen sogar mehrere Mülltonnen und vier chemische Toiletten. Und auch als ich die wunderschöne, von flach ansteigenden Felsen umgebene Schotterbucht erstmals durchwandere, finde ich tatsächlich so gut wie
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