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Plattenbaugefühle: Jugendroman

Plattenbaugefühle: Jugendroman

Titel: Plattenbaugefühle: Jugendroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jannis Plastargias
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doch solche Dinge nicht vor dem Kind!« schreit er sie an.
    »Ich habe alles geschmissen, was ich begonnen habe, bin schwanger geworden, um nicht mehr in dieser beschissenen Firma zu arbeiten, in der du damals noch Abteilungsleiter warst«, sie wendet sich kurz zu mir, »nicht missverstehen, du warst ein Wunschkind und wir lieben dich«, dann schaut sie wieder meinen Vater an, »und dann habe ich mich jahrelang verleugnet, deinen Rat befolgt, bin Pharmaberaterin geworden – es war schrecklich, ich bin so froh, dass das endlich vorbei ist. Und jetzt leben wir mal mein Leben!« Sie hat sich in Rage geredet.
    »Das mit der Pharmaberaterin war doch auch deine Entscheidung, dazu hat dich ja niemand gezwungen.«
    Sie verdreht nur die Augen, ignoriert den Einwand.
    »Wie kannst du mit mir zusammen sein, wenn du deinem Sohn so einen Bullshit erzählst?«
    »Schatz, jetzt beruhige dich doch!« Seine Stimme wird weicher. »Liebes! …«, sein Blick wird unsicher, »erstens, der Job als Pharmaberaterin war doch eine große Chance, du konntest viel unterwegs sein, das hat dir doch auch Spaß bereitet, und du hast den Job jahrelang gut gemacht«, er versucht sie sanft zu berühren, »und zweitens haben wir in den letzten Monaten schon so oft darüber diskutiert!« sagt er selbstsicher zu ihr.
    Was passiert hier? Welcher Film läuft gerade vor mir ab?
    »Diskutieren!« ruft sie genervt, »immer wieder diskutieren! Und was machen wir jetzt?« Sie fragt und öffnet ihre Handflächen, als ob sie sich selbst nicht sicher ist.
    »Schatz, man kann ja ein bisschen Hippie sein« sagt wieder Papa mit sanfter Stimme, »aber nicht schwul« ruft er in den Raum hinein, »nicht HIV-positiv und …«
    »Aber …«, möchte ich einwenden, doch meine wütende Mutter hört nicht auf mich.
    »Was?“ ruft sie aus, »schon wieder diese Scheiße! Du bringst die Worte schwul und HIV-positiv immer in einem Satz, als wären alle Schwulen HIV-positiv!« Sie ist jetzt überaus verärgert und spricht erregt weiter, »zu deiner Information: Sind sie nicht! In Afrika sind viele Menschen HIV-positiv, aber nicht schwul!«
    »Afrika!« ruft Papa belustig, »wir sind doch nicht in Afrika!«
    »Eben! Das hat mit Verhütung, das hat was mit Kondomen zu tun!« schreit sie sich die Seele aus dem Leib und schiebt genervt ihren Teller zur Seite. »Und wir vertrauen unserem Sohn!« ergänzt sie, etwas nachdenklicher.
    »Aber ich …«, beginne ich.
    Doch ich bin hier jetzt nicht mehr wichtig. Sie streiten so, wie ich es noch nie bei ihnen mitgekriegt habe. Meine Mutter ist sonst eher harmoniesüchtig und mein Vater ist ja meistens gar nicht zuhause. Und wenn, dann überwiegt sein Leistungsdenken und sein Weltbild, welches besagt: Gestritten wird nicht, in einer richtigen Ehe schon gar nicht! Doch an diesem Punkt waren sie sich wohl noch nie einig, wenn sie doch – angeblich – schon so lange darüber reden. Aber wieso wissen sie es schon seit Monaten und diskutieren darüber, wenn ich es doch noch nicht einmal selbst weiß? Was macht mich in den Augen der anderen so schwul? Was ist mit mir? Was stimmt nicht? Was ist falsch? Ich verstehe das alles nicht mehr.
    Traurig gehe ich in mein Zimmer. Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll – warum streiten sich meine Eltern? Was passiert, wenn der Streit nicht aufhört? Und wie schrecklich, dass ich der Grund sein soll! Ich habe doch überhaupt nichts gemacht! Was soll dass alles? Ich lege eine CD von der isländischen Band Sigur Rós ein, die mir mein Musiklehrer aus der alten Schule in Berlin empfohlen hatte, »Lieder für die schwermütigen Momente des Lebens« nannte er das. Musik aus anderen Sphären, elektronische Klangteppiche, die Stimme des Sängers leicht weinerlich, alle Last der Welt trägt er und singt über das Elend auf unserer Erde, über das Krankwerden, Liebesleiden, Sterben. Ich beginne zu weinen und kann nicht mehr aufhören.
    Meine Mutter klopft an.
    »Ich wusste, dass es mal zu einem heftigen Krach kommen würde, nachdem wir schon seit Wochen diskutieren.« Sie betritt langsam mein Zimmer, ihre Stimme klingt müde.
    »›Schon seit Wochen diskutieren?‹« wiederhole ich, »Worüber diskutiert ihr denn?«
    »Na, über dein Schwulsein.«
    »Was? Was wollt ihr von mir?«, es regt mich auf, »ich schwul? Ich bin nicht schwul!«
    »Fabian … jetzt Danny ...«, ein kleines Lächeln huscht über ihr Gesicht. Sie bleibt cool.
    »Danny ist nicht mein Freund. Und Fabi war auch nicht mein Freund. Das sind

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