Plattenbaugefühle: Jugendroman
schwul bist. Bist du denn in jemanden verliebt? In Danny vielleicht?«
»Keine Ahnung, ich war doch noch nie verliebt!«
Fabian ist eine Weile still. Nur mein lautes Atmen ist zu hören.
»Ich fand es merkwürdig, dass du bei unserem Abschied so geweint hast, da war ich überfordert …« So kenne ich Fabian nicht. Was meint er mit ›überfordert‹? »Ich fragte mich plötzlich, ob du schwul bist und dann habe ich das auch zu dir gesagt ...« Stimmt, das hat er zu mir gesagt. »Aber es war nur halb ernst gemeint.«
»Halb ernst?«
»Naja, ich war auch traurig, aber keine Ahnung, es kam mir halt merkwürdig vor.«
»Merkwürdig?« Ich wische meine Tränen aus dem Gesicht – was meint er mit ›merkwürdig‹?
»Andere Jungs machen das eben nicht, ich kenne das nicht. Aber es ist okay. Du bist mein bester Freund und ich mag dich wie du bist.«
»Aber … also, wie meinst du das?«
»Ach … sei einfach wie du bist. Du kannst mir alles erzählen. Ich bin für dich da.« Seine Stimme klingt warm und verständnisvoll. Er ist etwas Besonderes.
Ich bin total traurig. Fabian kommt mir so schrecklich erwachsen vor, wie Danny. Beide haben jetzt ein Mädchen. Und was ist mit mir? Bin ich denn wirklich schwul? Ist das, was ich für Danny fühle, Verliebtheit? Bin ich deswegen eifersüchtig?
Ich bin im Gebirge, da, wo ich war, als der Junge mich küsste und unsere Verfolger sich auflösten. Wir laufen händchenhaltend über diese Felsen, schauen in den blauen Himmel. Er sagt: »Ist das nicht schön?« Und ich schaue ihm in die Augen und sage: »Ja, sehr schön!« Er lacht mit seinem ganzen Mund, der immer größer wird, so groß, dass er mich ähnlich einer Riesenschlange ganz auffressen könnte – und er tut dies auch im nächsten Moment. Gruselig. Plötzlich bin ich weg ... alles wird dunkel ... im nächsten Moment sehe ich mich in einer Höhle, mit ganz wenig Licht, und frage mich, ob ich nun in diesem Jungen drin bin, wie ein Fötus im Bauch seiner Mutter.
Ich wache auf, bin ganz verstört.
Meine Mutter steht im Zimmer, betrachtet mich, lächelt mich an.
»Abendessen!« sagt sie leise und streicht mir sanft über das Gesicht.
»Mh …?«
»Stell dir vor, dein Vater möchte sich mehr um dich kümmern!« flüstert sie mir ins Ohr. Meine Augen öffnen sich ganz weit, ihre Lippen sind auf meiner Haut so weich, »sagt er!«, fügt sie noch leiser hinzu.
Ich schaue sie verwirrt an.
»Hab keine Angst, Jonas, ich bin ja dabei.« Sie nimmt mich in den Arm.
Mit einigem Befremden laufe ich ins Esszimmer, mein Vater sitzt kerzengerade und mit ernstem Gesicht am Tisch. Ich hatte mich schon bei Dannys Anwesenheit tags zuvor über die Sprüche meines Vaters gewundert. Jetzt kommt es! Ich fühle das Gewitter, es riecht nach Ärger.
»Ist dein Freund heute nicht bei dir?« Seine Stimme klingt streng.
Ich setze mich an den Tisch, ihm gegenüber. Es ist mir unangenehm.
»Nein …« Ich suche nach meiner Mutter, versuche seinem Blick zu entgehen, »was gibt es zu essen, Mama?« Ich weiß, dass er mich anstarrt.
»Hör mal, Jonas, ich freue mich grundsätzlich, dass du einen neuen Freund hast …«
»Aber?« Ich frage nach dem ›aber‹, betrachte das Muster der Papierserviette. Ich muss an Alice im Wunderland denken, wie sie bei der Teeparty mit dem verrückten Hutmacher neben dem Märzhasen sitzt und sich denkt, dass diese Teegesellschaft wirklich zu abgedreht ist – was macht Mama so lange in der Küche?
»Naja, du … also, ich … wir ...«
Er sucht nach einem Anfang, sucht nach den richtigen Worten und ich höre voller Erlösung die gutgelaunte Stimme meiner Mutter: »Es gibt Frankfurter Grüne Soße!« Endlich ist sie da. Ich schaue sie an, ignoriere meinen Vater.
»Das soll eine Spezialität aus der Region sein …« Sie strahlt, stellt eine Schüssel mit grünlich-dickflüssigem Inhalt auf den Tisch, »dazu essen sie hier Salzkartoffeln und hartgekochte Eier!« Stolz präsentiert sie die Beilagen – das tut sie wie auf so einem Verkaufs-TV-Kanal, »greift zu!« fordert sie uns auf und nimmt zwischen mir und Papa Platz.
Er schaut abwechselnd zu meiner Mutter und mir.
»Freunde haben ist wichtig in deinem Alter, vor allem männliche Freunde, aber …«
»Was aber, Papa?« Ich halte sein Gerede nicht mehr aus!
»Kartoffeln?« Mutter reicht mir die Schüssel. Die hellgelben Knollen sind noch ganz heiß, der Dampf vernebelt meinen Blick.
»Naja, es würde mich nicht so sehr glücklich machen, wenn du
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