Plattenbaugefühle: Jugendroman
selten die Mannschaftskameraden brillieren lassen, was ja der Sinn des Spiels sein sollte. »Mit gelungenem Passspiel könne auch so ein untalentierter Jonas sie düpieren«, sagt Ismet – ›düpieren‹, ein Wort, dass er wohl in der Sportschau aufgeschnappt hat. Überhaupt ist es überraschend, wie die Kranichsteiner Jungs sich plötzlich ausdrücken können, wenn es um Fußball oder Handys geht. Sonst können sie kaum einen geraden Satz sagen, aber die Bedienungsanleitung eines Mobiltelefons oder einer Playstation können sie in einwandfreiem Deutsch wiedergeben.
Ich denke über den Begriff ›untalentiert‹ nach. Danke! Ich muss lächeln - untalentiert bin ich also. Dafür, dass ich Fußball nicht mag, fand ich mich gut. Das muss auch Danny mir zugestehen. Trotzdem zieht er mich den ganzen Reli-Unterricht über auf: »Ich habe gleich gemerkt, dass du ein Auge auf Mohammed geworfen hast!«
»Ach ja?«
»Der ist ja auch süß für so einen Maghreb, und so sportlich!«
»Blablablabla … wenn du nicht gleich aufhörst, mich dumm von der Seite anzumachen, werde ich dich vor Giovannas Augen küssen!«
»Das hättest du wohl gerne!« Danny lacht mich weiter aus, bis die Lehrerin ihn doof anschaut und ermahnt.
Ich muss unbedingt ein paar Aufhänger finden, um mich auch über ihn lustig machen zu können. Immer bin ich derjenige, über den gelacht wird. Danny darf das, er weiß, weil ich ihm vertraue, und weil ich mir sicher bin, dass er mich respektiert und akzeptiert wie ich bin. Ich habe das Gefühl, dass er mir nur helfen möchte mit den Blödeleien, damit ich mein Schwulsein locker nehme, und mir zeigen möchte, dass er es genauso locker nimmt.
Mir ist ein wenig mulmig zumute, als ich die Treppe zur Schulsozialarbeit hochgehe - zum ersten Mal alleine bei Aris. Ich weiß nicht, was ich ihm sagen soll. Es ist nicht so, dass es die Sache leichter macht, mit ihm einen ›Gleichgesinnten‹ vor mir zu haben. Er ist ein erwachsener Mann, der mir sympathisch ist, den ich aber kaum kenne.
Aris und ich sitzen auf dem Geländer, schauen auf die Straße und den Bürgersteig. Etliche Schüler der EKS laufen an uns vorbei.
»Hast du wirklich keine Probleme als Schwuler in Kranichstein und an dieser Schule?« frage ich ihn noch immer schüchtern.
»Es gibt sicherlich Eltern, die damit nicht umgehen können. Die Lehrer sind vielleicht das größte Problem. Dabei sollte sie meine Sexualität nicht interessieren.«
»Die Kranichsteiner Jugendlichen können damit umgehen?«
»Jonas, ein Freund von mir kommt aus Ägypten. Er hat mir erzählt, wie es dort den Schwulen ergeht. Sie sind fast nie geoutet. Weil sie sonst ausgestoßen werden. Keiner würde mehr mit ihnen sprechen, weder in der Arbeit, noch im Freundeskreis noch in der Familie. Dagegen sehe man im Touri-Ort Sharm El-Sheikh oft Schwule in der Disko miteinander tanzen und knutschen. Doch das seien Ausländer, keine Ägypter, als Ausländer dürften die das. Weil sie keine Muslime sind.«
»Mh … und du bist kein Kranichsteiner. Und bist keiner von den Gangstern …«
»Nein, bin ich nicht. Ich habe zwar einen griechischen Hintergrund und bin ihnen deswegen nah, als Ausländer. Aber ich habe Abitur und einen Studienabschluss. Was glaubst du, wie es einem Kranichsteiner Jungen ginge, der aus Marokko kommt und sich hier an der EKS outet?« Er runzelt leicht die Stirn.
»Woran hast du gemerkt, dass du schwul bist?« frage ich und hoffe, nicht zu interessiert zu wirken, zu übereifrig.
»Eigentlich gab es in der Grundschule die ersten Anzeichen, in der vierten Klasse. Bei unserem Austausch mit den Franzosen fand ich einen Jungen so ›sympathisch‹. Später fiel mir auf, dass ich mich nie in Mädchen verliebte. Ich lernte einen Jungen im Badminton-Verein kennen. Den habe ich dauernd beobachtet. Zuerst dachte ich, es sei eine Phase. Aber dann dachte ich irgendwann: Das kann nicht normal sein, ich verehre ihn! Ich musste mir also irgendwann eingestehen: Ich stehe auf Jungs!«
»Woran merkt man, dass man verliebt ist?«
»Dieses Kribbeln im Bauch, das man nie mehr vergisst, als ob da im Magen der Teufel los ist, dieses Kribbeln im Bauch kennst du doch auch, wenn man glaubt, fast überzuschäumen vor Glück, dieses Kribbeln im Bauch, das man nie mehr vergisst, wie wenn man zuviel Brausestäbchen isst ...« singt Aris und ich kann es gar nicht fassen, wie er drauf ist.
»Was ist dieses Kribbeln?«
»Man denkt ständig an den anderen und hat so ein mulmiges
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