Plattenbaugefühle: Jugendroman
Aris beschrieben hat, das habe ich nicht. Danny habe ich lieb, er ist wie mein Bruder, aber mir wird nicht flau im Magen. Trotzdem macht der Anblick etwas mit mir. Ich finde ihn attraktiv, er merkt, dass ich ihn anstarre.
»Kommt Giovanna auch zu der Party?« Ich versuche abzulenken, ziehe jenes Outfit an, dass ich schon einmal in der Schule getragen hatte, das Shad M. so ›fit‹ fand: die hellblauen Chucks, zerrissene Jeans, ein weißes Hemd, lose heraushängend, und eine rosa Krawatte im 80er Style, ebenfalls lose umgebunden.
»Nein, da dürfen nur Leute aus unserer Schule kommen!« sagt er und nickt anerkennend, so als ob er sagen möchte: Mit dir kann man sich sehen lassen.
Die Mädchen tragen fast ausschließlich Abendgarderobe, schwarze, enggeschnittene Kleider mit Pailletten und Glitzer. Erinnert mich ein bisschen an einen kultigen Teeniefilm aus den Neunzigern, den mir meine Mutter gezeigt hat, ›Clueless‹. Die Handlung von Jane Austens ›Emma‹ in das Beverly Hills jener Zeit verlegt – und nur weil es quasi eine Literaturverfilmung ist, fand der Film Einlass in den Kanon meiner Mutter. Selbst die Kopftuch-Mädchen sehen sehr chic aus, natürlich tragen sie Tücher, sehr bunte, glänzende, aber auch Stöckelschuhe, schöne figurbetonte Oberteile und schwarze Hosen, manche sogar ähnliche Abendkleider wie die Mädchen ohne Kopftuch, allerdings zeigen sie nicht so viel Haut. Die Jungen sind nicht minder gut angezogen, selbst Mohammed, der überhaupt nicht Mohammed heißt. Er trägt ja sonst eher Sporthosen, auch in der Schule, doch heute trägt er einen schwarzen ›Konfirmanden-Anzug‹ und ein weißes Hemd. Es steht ihm, vor allem die Schuhe mag ich, sie glänzen und sehen teuer aus. Es überrascht mich, wie viele Lehrer da sind. Frau Wächter zwar nicht, aber dafür zwei Sportlehrerinnen, eine Referendarin und natürlich Aris. Dieser sieht wieder richtig gut aus heute Abend. Und mir ähnlich, wie immer. Auch er trägt seine hellblauen Chucks und dazu zerrissene Jeans, sein Hemd ist allerdings schwarz und seine Krawatte schwarz-grau, ebenfalls im 80er Style. Er steht mit einem Bier in der Hand bei Nico aus der Parallelklasse, einem kleinen süßen Typen. Als Aris mich sieht, zwinkert er mir zu. Danny kneift mich: »Na, siehst du, er ist verliebt in dich!«
Er prustet los. Ich finde es überhaupt nicht witzig. Mohammed, der überhaupt nicht so heißt, begrüßt mich nett mit einer Umarmung. Alle sind so schrecklich aufmerksam und höflich zueinander. Keiner wird geneckt. Jede und jeder wird von jeder und jedem begrüßt und mit netten Worten beehrt.
Ich gehe auf Aris zu.
»Sag mal, was geht denn hier fürn Film ab? Sind die immer so auf Partys?«
»Weil alle so schick sind? Das ist normal für sie. Sie kleiden sich so, als wären sie auf der Hochzeit von Verwandten. Und höflich sein gehört zur Etikette, egal, ob man sich mag oder nicht so sehr.«
Es läuft Hip Hop und R´n´B, überhaupt nicht meine Musik, ich finde sie auch untanzbar. Deswegen wundert mich auch nicht, dass die Tanzfläche leer ist. Doch Shad M. versucht, Stimmung zu machen, er kann Aris dazu animieren, auf die Tanzfläche zu gehen. Der tanzt ganz ausgelassen und zieht das eine oder andere Mädchen mit. Kurze Zeit später füllt sich die Tanzfläche. Aris ist wirklich toll. Er tanzt mit Dilara und geht ganz schön ab dabei. Shad M. reibt sich an ihm. Den Älteren irritiert das überhaupt nicht. Im Gegenteil: Er wechselt die Position, nimmt den Jungen in die Mitte und reibt sich seinerseits an ihm, während dieser eng umschlungen mit dem Mädchen tanzt. Das hätte es in unserer Schule in Berlin nicht gegeben. Wahnsinn. Mich überrascht dieses Kranichstein immer mehr.
Da steht er vor mir. Lässig an eine Wand gelehnt, auf die Tanzfläche starrend, in Gedanken versunken. Das ist er! Der Junge, von dem ich geträumt habe. Unglaublich! Wahnsinn! Es kann einfach nicht sein! Ich glaube, ich träume. Eine Erscheinung, die mich schnappatmen lässt. Diese mittelangen, dunklen Haare, die rehbraunen, schönen Augen, sein schmales Gesicht. Er ist genauso groß wie ich, Eins achtzig, schlank, sportlich, der Fußballer-Typ, mit seinen langen Wimpern, ein süßes verträumtes Lächeln auf den vollen Lippen. Mann, ist der schön! Ja, das ist er, der mit mir am Strand in einem Bett lag, nackt unter der Bettdecke. Der mich im Gebirge küsste. Der mich aus der Felsspalte rettete.
Ich starre ihn an, er bemerkt den Blick.
Er schaut mich an.
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