Plattenbaugefühle: Jugendroman
mache ich und rätsele nach wie vor, worauf er hinaus möchte.
»Also, du weißt schon ... ich meine dein Schwulsein. Reden wir nicht drüber! Frieden?«
»Frieden, ja ...« Ich bin verwirrt, frage mich, was das soll. Offensichtlich ist es eine Entschuldigung. Und das ist gut.
Die ganze Zeit hatten sie am Türrahmen gestanden, beide. Mein Vater kommt auf mich zu, umarmt mich nicht, nein, er gibt mir männlich die Hand. Flüsternd wünscht er mir eine gute Nacht. Er geht an meiner Mama vorbei, ihr zunickend, »in fünf Minuten sehen wir uns oben«, lächelnd sagt er das, sie schaut ihn liebevoll an, nickt zurück.
»Schritt für Schritt, Jonas. Das ist schon sehr viel, was er heute geleistet hat.« Sie strahlt siegessicher über das ganze Gesicht und ich weiß, dass sie schwer gekämpft hat, um ihn zu überzeugen – und ihr Ziel erreicht hat.
»Ja, er ist gleich zwei Schritte auf mich zugegangen.«
»Ich freue mich, dass du das auch so sehen kannst. Ich wünsche dir eine gute Nacht. Träum schön.« Sie kommt auf mich zu, umarmt mich, gibt mir einen Kuss auf die Wange.
Ich fühle mich von ihr verstanden und geliebt und weiß, dass meine Omama recht hatte: Meine Mama vergöttert mich. Das ist ein tolles Gefühl.
Ich finde keinen Schlaf, zu viele Gedanken rasen mir durch den Kopf. Die Würfel sind gefallen. Alle glauben, dass ich schwul bin, also bin ich es. Oder? Ich logge mich ins Internet ein, suche, finde und schaue mir Schwulenpornos an, um herauszufinden, ob es mich anmacht. Und es tut es. Unglaublich, mich machen Jungs an! Keine behaarten Männer, aber muskulöse achtzehnjährige Jungs, die sich nackt räkeln, miteinander Sex haben – das finde ich erregend, unfassbar, einfach unfassbar und frage mich warum ich erst jetzt diesen Schritt mache. Ich höre Clueso. Auch den finde ich sehr hübsch. Ich fühle mich verändert, das merke ich ganz deutlich. Ich bin ein ganz anderer Jonas. »Männer gefallen mir«, flüstere ich in der Dunkelheit des Raumes. Und das erschreckt mich plötzlich nicht mehr.
In der Schule bin ich stark abgelenkt, nachmittags hänge ich mit Danny ab. Wenn er sich abends mit Giovanna trifft, versuche ich zu lesen, gute Laune zu kriegen und schöne neue Musik zu youtuben. Nachdem mir Mama das ›Intro‹ mitgebracht hat – eine Zeitschrift, in der Berichte und Besprechungen über Indie-Alternative-Musiker abgedruckt sind – suche ich im Internet nach den Tipps darin, um auf dem Laufenden zu bleiben. Meine Mitschüler in Kranichstein hören ja nur Hiphop-Scheiße.
»Warst du schon bei Aris?« fragt mich Danny am Donnerstagmorgen, seine Stimme klingt besorgt.
»Wieso?«
»Geh einfach hin!« sagt er beharrlich.
Ich kriege den Verdacht nicht los, dass er mit Giovanna verabredet ist und werfe ihm einen enttäuschten Blick zu.
»Ich bring heute Abend eine DVD mit. Kennst du den Film ›Juno‹? Er knufft mich liebevoll. »Er wird dir gefallen«.
Ich fühle mich seltsam. Bin ich anders als der Rest der Welt? Rede ich anders als sie? Esse ich andere Dinge als sie? Trage ich andere Klamotten? Höre ich andere Musik? – Ja! Ja und wieder Ja! Verdammt! Was habe ich denn überhaupt mit ihnen gemein?
»Kommst du heute mit Fußball spielen?« Mohammed, der gar nicht Mohammed heißt, hatte mich in den letzten Tagen schon öfter angesprochen, war immer sehr nett zu mir, obwohl der kleine Anas sehr verwundert deswegen schaute.
»Du findest ihn doch süß, spiel doch mit!« Danny neckt mich, und aus Trotz mache ich das tatsächlich.
Mohammed, der nicht Mohammed heißt, muss immer über mich lachen – nicht gehässig, eher erstaunt – wie technisch unversiert man doch spielen kann. Ständig stolpere ich über den Ball, lasse mich von ihm austricksen, und Anas, der mich niemals leiden können wird, weil ich ihm gleich am ersten Tag gezeigt habe, dass ich der Stärkere bin, will mich deswegen fertig machen. Aber dann steigt Ismet ein, der ungefähr so gut wie Mohammed, der nicht Mohammed heißt, spielt und noch dazu sein Erzfeind ist. Der will mich gut und den anderen schlecht dastehen lassen. Bei jeder Gelegenheit passt er mir den Ball so, dass ich ein Tor machen oder dem Anas durch die Beine spielen kann. Das ärgert den Kleinen mächtig, Mohammed findet es eher witzig, möchte aber nicht verlieren. Ismet klatscht mich dauernd ab und freut sich. Er gibt vor den beiden an, dass er das Teamplay beherrsche, anders als sie, die Marokks, die immer nur durch Einzelaktionen glänzen und
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