Plattenbaugefühle: Jugendroman
Ich kann nicht deuten wie. Seine Augen strahlen, glaube ich. Freut er sich, mich zu sehen? Gefalle ich ihm? Aber diese Träume, die ich hatte, kann er ja nicht auch gehabt haben. Er geht raus. Instinktiv gehe ich ihm hinterher. Er blickt über seine Schulter zu mir, möchte sehen, ob ich ihm folge. Ich lächle.
Er schaut auf den kleinen See vor dem Chillmo und ich stelle mich neben ihn.
»Hallo! Gehst du auch auf die EKS?« Ich beiße mir auf die Lippen. Wie blöd ist denn diese Frage? Wie oberpeinlich!
»Klar. 10 c.«
»Echt? Noch nie gesehen ...«
»Ich habe dich schon öfters gesehn.«
Ich bin total erstaunt, wie krass, ich bekomme keinen einzigen Satz über meine Lippen, kann ihn nur anstarren. Er hat mich schon öfters gesehen. Ich bin ihm aufgefallen. Und dann noch diese Ähnlichkeit mit dem Jungen in meinen Träumen, diese Augen.
Er schweigt.
Ich sage »Mh«.
Wieder Schweigen.
»Und nun?« frage ich. Meine Gedanken sind verwirrt. Ich bin einfach daneben, kriege das alles gerade nicht auf die Reihe.
»Ich heiße Afyon!«
»Wie bitte?« Oh Mann, er muss echt denken, dass ich dumm bin.
»Afyon ist mein Name.« Er sagt es so, als wäre ich behindert, mit einem ironischen Unterton. Der Name sagt mir irgendwas. Doch was?
»Jonas« sage ich mit meiner zartesten Stimme. Mist! denke ich, jetzt glaubt er, dass ich eine Schwuchtel bin.
»Ich weiß!« sagt er lächelnd und meine Knie werden ganz weich und zittrig.
Mir bleibt die Spucke weg. Ich fühle mich wie in ›Verwünscht‹, als Giselle, die am Anfang des Films in einer Märchenwelt lebt, als Zeichentrick dargestellt, plötzlich in ihrem Hochzeitskleid mitten auf dem Times Square in New York landet. Sie findet sich natürlich überhaupt nicht zurecht, in einer anderen Zeit und mir wird ganz schlecht. Mir ist nach Kotzen zumute.
»Was ist los mit dir?« Er starrt mich beunruhigt an.
»Nichts. Nichts. Mir ist ... ich komme gleich wieder.«
Ich suche die Toilette, schließe mich in eine Kabine ein, versuche tief einzuatmen. Ich bemerke meinen Schweiß, das Hemd ist klitsch-nass, die Lunge drückt. Ich schließe die Augen. Der Junge aus meinen Träumen ist lebendig geworden. Was mache ich hier?
Ich suche ihn draußen, ich suche ihn drinnen, stoße auf Aris.
»Was ist denn los, Jonas?«
Ich kann nicht antworten, ich schaue mich um. Wo ist er nur hin?
»Ich bring dir ein Bier«, sagt Aris und lässt mich in meinem verwirrten Zustand stehen.
›It´s getting hot in here‹ läuft gerade und ich denke nur: Oh, wie wahr! Mir ist heiß. Mir ist kalt. Ich weiß nicht ein noch aus. Wo ist er? Was ist mit mir los? Was mache ich nur?
Danny und Aris hatten von ihm gesprochen. Von Afyon. Warum? Warum träumte ich von ihm, ohne ihn zu kennen? Wie ein David Lynch-Film, wie in ›Mulholland Drive‹, bei dem eine Frau ihr Gedächtnis verliert und die ganze Zeit merkwürdige Dinge passieren – so fühle ich mich.
»Ich habe gerade Afyon kennengelernt« sage ich zu Aris, der mir ein Bier anbietet.
Er zieht seine Brauen hoch: »Aha!«.
»Und jetzt ist er nicht mehr da.«
»Na, weit kann er ja nicht sein«, sagt er lachend.
Shad M. ruft nach Aris; der dreht sich um und geht zu seinem Schüler. Ein paar Minuten später höre ich den Tumult. Ein paar Jungs jubeln. Ich laufe Richtung Tanzfläche, auf der die Lehrerinnen Halli-Galli machen. Die Sportlehrerinnen zeigen den Mädchen das Salsa-Tanzen. Ich spüre eine Hand auf meinem Arm, werde auf die Tanzfläche gezerrt, der Rhythmus durchströmt meine Adern. Die Tanzfläche ist mittlerweile voll, es ist heiß, sehr heiß. Meine Blicke suchen ihn, während ich mich treiben lasse, mich einfach bewege wie die anderen.
Afyon! Da steht er, lehnt sich wieder an die Wand. Er starrt mich an, seine Blicke wie Magneten. Er kommt auf mich zu, nickt in Richtung draußen. Er lächelt ganz smart. Mit einem Glas Bier in der Hand folge ich ihm. Ich fühle mich von ihm in Bann gezogen. Ich stoße an die Körper der tanzenden Schüler, Afyon immer voraus, durch die Menge, durch die Enge, in die Frische der Nacht.
Wir starren auf den dunklen See, nippen an unserem Getränk – mein Herz pocht.
»Geht es dir besser?« Seine Stimme ist hart und fürsorglich zugleich.
»Ja«, traue ich mich verschämt zu antworten, ganz leise und in meiner Kehle wird es plötzlich eng. Mein zwanghaftes Schweigen wird mir zur Qual, ich erkenne mich nicht wieder, dabei möchte ihm von meinen Träumen erzählen. Er klopft mit seinen Fingern auf das
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