Plattenbaugefühle: Jugendroman
mich ebenfalls keiner verfolgt hat. So war der ›Plan‹: Ich reise nach München zu Onkel Klaus, falls mich jemand aus Afyons Familie verfolgen sollte – nur Danny weiß in Kranichstein, wo ich mich befinde, selbst er weiß über Afyons Entführung nichts – um falsche Spuren zu setzen. Wenn die Situation sich legt, fahre ich nach Berlin. Doch meine Mum meint, »Du hast viel zu wenig Erfahrung, um zu bemerken, ob dir jemand auf den Fersen ist!«, für mich hört sich ihre Stimme wie in einem Kriminalfilm an. Wie soll das alles weitergehen? Ich habe ein merkwürdiges Gefühl.
Als ich Fabian anrufe, wird mein Gefühl nicht besser.
»Wie kann es sein, dass du mit so einem asozialen Typen zusammen bist?« fragt er mich verärgert.
»Wie bitte!«
»Das ist ein Kanacke, wie er im Buche steht. Der pöbelt rum, steht nur auf Fußball, macht auf Macho-Türke und ist total undankbar! Deine arme Großmutter!«
»Er kann sich nicht so gut artikulieren …«
»Offensichtlich hast du die rosarote Brille auf!« Fabi ist außer sich »der Typ nervt, und zwar gewaltig. Der ist keinen Deut besser als die Schöneberger Typen!«
»Welche Schöneberger Typen?«
»Die Türken, mit denen du bisher noch nie zu tun gehabt hattest. Ich wohne ja neben so einem Zocker-Laden. Du bist immer wie ein feiner, blinder Herr vorbei gelaufen, ohne etwas wahrzunehmen.«
»Was soll das jetzt?«
»Ich bin einfach sauer und enttäuscht!«
»Fabi …«
»Ich hoffe, dass Danny und Co. netter sind.«
»Wach auf, du Schlafmütze, du hast ein Date!« Am nächsten Morgen weckt mich Elisa, indem sie mir einen weichen Fußball direkt ins Gesicht wirft. Wieso ist sie denn so laut am frühesten Morgen? Liegt es in der Familie meiner Mutter, dass alle so früh so wach und gutgelaunt sind?
»Was für ein Date?« frage ich irritiert.
»Na, mit Paul.«
»Paul? Wer ist eigentlich Paul?«
»Wie witzig!« sagt sie, »Paul ist ein Freund von mir. Ein schwuler Freund.«
»Willst du mich verkuppeln? Erinnerst du dich noch an die Geschichte mit Afyon? Der Grund, warum ich hier bin?«
»Ja, lass mich doch mal ausreden. Heute Morgen fiel mir ein, dass Anna und ich einen Freund haben, der schon seit Längerem weiß, dass er schwul ist. Er ist 18, hatte zwei Jahre lang einen Freund, von dem er sich letztens getrennt hat. Er geht oft in die ›Szene‹ aus und kennt eine Menge ›Gleichgesinnter‹. Wir dachten, dass es gut wäre, wenn du mal mit jemandem redest, der schon etwas mehr Erfahrung hat als du, aber trotzdem in deinem Alter ist.«
»Wieso?« platze ich heraus.
»Ach, Jonas, du hattest bisher keine Beziehung. Afyon auch nicht. Du kennst keine Schwulen in deinem Alter. Du hast Bücher gelesen und hast mit deinem schwulen Sozialarbeiter, der allerdings nicht in deinem Alter ist, über all das geredet. Und mit Heterosexuellen, die sowieso ganz anders fühlen.«
Ich überlege, ob ich sie nun ›neunmalklug‹ oder ›erwachsen‹ finden soll. Doch sie hat Recht, ganz sicher sogar. Und ich habe erneut ein merkwürdiges Gefühl.
»Werde ich alleine mit ihm sein?« frage ich daher.
»Natürlich! Wieso? Brauchst du einen Anstandswauwau? Hast du dich so wenig unter Kontrolle?«
Sie lacht laut auf. Ich finde das weniger witzig!
»Hast du Schiss, mit ihm alleine zu sein? Solltest du genau so Probleme mit Schwulen haben, obwohl du selbst einer bist?«
Höre ich da nicht richtig? Was unterstellt sie mir denn da? Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. Es ist alles so verrückt. Mein Leben ist kein Kriminalroman, sondern eine Soap. ›Gute Zeiten, schlechte Zeiten‹, oder noch besser ›Verbotene Liebe‹: Sehen Sie in den nächsten paar Monaten die neue verbotene Liebe – ein Großstadtjunge, der sich in einem Kleinstadt-Ghetto in einen türkischen Jungen aus strengem Elternhaus verliebt. Sehen Sie blutrünstige Prügeleien, wilde Streitigkeiten, dramatische Entführungen und den ›Clash of Civiliza-tions‹. Oh mein Gott! Wenn ich es so betrachte, klingt es ganz schön krass! Und ich frage mich, wie ich da hineingeraten bin. Ich habe geträumt von ihm. Ich wollte sein Freund sein. Ich wollte einfach mit ihm zusammen sein. Kuscheln, küssen, mit ihm Sex haben. Und jetzt? Was wird aus uns beiden? Vielleicht ist mir das alles zu viel! Er wurde von meiner Mutter entführt, ist bei meiner Omama. Jetzt gehört er irgendwie zu mir. Möchte ich ihn wirklich haben?
»Was ist mit dir los? Soll ich es absagen?« Elisa schaut mich ungeduldig an.
»Nein,
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