Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
ansehen.« Irmi zauberte sie aus der Tasche und wedelte damit. Von Brennerstein war ganz kurz irritiert, dann öffnete er einen Holzschrank, in dessen Innerem ein Riesenbildschirm, diverse Kästchen und eine Bose-Anlage zum Vorschein kamen. Er legte die DVD ein. Irmi sah den ersten Teil nun schon zum zweiten Mal, ein Seitenblick auf Kathi zeigte ihr, dass diese schon bei der ersten Antwort des Landadligen aggressiv wurde. Da war wieder der Moderator, der sagte, es ginge ja hier nicht um Schokolade. Regina wirkte angespannt, als sie wieder ins Bild kam.
»Nein!«, rief sie ins Mikro. »Hier geht es darum, dass das Wild aus den Deckungen gar nicht mehr rauskommt. Wir wissen doch längst, dass die Ganzjahresjagd nur bedeutet, dass die Tiere scheuer werden und schier unauffindbar. Auch Sie müssten erkannt haben, dass lediglich Intervallzeiten zum Jagderfolg führen. Außerdem schnellt bei einer Beunruhigung in der Winterzeit der Energiebedarf der Rehe um bis zu vierhundert Prozent des Ruhezustandes in die Höhe. Nur wenn das Wild in den Wintermonaten ungestört ist, schont es seine Energiereserven und kommt mit einem kargen Nahrungsangebot gut über die Runden, sonst verbeißt er nämlich noch mehr! Das ist doch logisch!«
»Logik, meine Liebe, ist ein Wort aus dem Altgriechischen und meint denkende Kunst. Man versteht darunter die Lehre des vernünftigen Schlussfolgerns. Ihre Rehbegeisterung ist aber nicht vernünftig.« Wieder grinste er selbstgefällig.
»Sie lügen den Leuten doch was vor. Sie reden von Versuchen mit Nachtzielgeräten, Sie reden von der winterlichen Gatterjagd im Allgäu nach dem Motto: Ich schieß raus, was mir nicht passt. Das bedeutet: Ich erschieße Tiere ohne Fluchtmöglichkeiten. Ich erschieße Tiere in einem Bereich, der der Notzeitfütterung dient. Mit hoher waidgerechter Jagd hat das alles nichts mehr zu tun, da bin ich im Sprachduktus sogar bei Ihnen: Das ist wirklich nur noch Schädlingsbekämpfung!«, giftete Regina.
Irmi fand, dass Regina die weit besseren Argumente hatte, aber auch ihr wollte sie nicht so recht gefallen. Sie redete zu schnell, zu laut, und auch sie wirkte arrogant. Während er gönnerhaft schien, war sie zu wissenschaftlich. Es war wie ein Duell zwischen zwei Präsidentschaftskandidaten. Irmi beobachtete von Brennerstein aus den Augenwinkeln. Der saß entspannt da und lächelte selbstgefällig.
»Wenn ich die Tiere nicht anders erwische«, sagte von Brennerstein im Fernsehduell, »muss ich das tun. Es geht um Effizienz, ich erinnere Sie noch einmal daran, dass Abschusspläne bindend sind. Ich habe einen geringeren Aufwand, muss nicht dauernd ansitzen, bin nicht an Tageszeiten gebunden.«
Regina sah so aus, als würde sie ihm nun jeden Moment an die Gurgel fahren, und auch der Moderator hatte instinktiv den Kopf eingezogen.
»Wenn ich mal das Thema Ethik komplett ausklammere und nur die Wildbiologie ins Feld führe, dann nutzt ihnen der Gatterabschuss nur kurzfristig. Die erfahrenen weiblichen Tiere, die die Herde anführen, werden nicht mehr hineingehen und die Herde dann auch nicht mehr. Rotwild ist extrem lernfähig. Was Sie hier propagieren, ist nicht besser als jede Großschlachterei.« Reginas Augen sprühten.
»Frau von Braun«, mischte sich der Moderator ein, »erklären Sie dem Zuschauer doch bitte, was diese Gehege sind!«
»Wintergatter, nicht Pferch oder Gehege! Die Tiere sind freiwillig hier, sie kommen im Frühwinter und haben weder Uhr noch Kalender. Sie kommen nicht unbedingt mit dem ersten Schneefall, aber mit dem ersten großen Wintereinbruch. Diese Erfahrung, dieses Wissen geben die Mütter an die Kinder weiter. Rothirsche sind große Pflanzenfresser und waren eigentlich Offenlandbewohner, aber der Mensch hat sie immer weiter in den Bergwald zurückgedrängt. Sie haben sich angepasst, aber im Winter bietet der Bergwald zu wenig Äsung. Rotwild zieht eigentlich in die Flussauen, aber die gibt es heute kaum noch. Die Flüsse sind begradigt, von Straßen abgeschnitten, besiedelt. Was also tust du als hungriger Hirsch, der du auch noch Wiederkäuer und auf rohfaserreiche Nahrung angewiesen bist? Genau, du knabberst Bäume an, und das aus Überlebenswillen. Genau deshalb gibt es diese Wintergatter. Die Tiere erhalten artgerechte Nahrung aus Heu und Grassilage, Rüben und Kastanien als Schmankerl. Man hindert die Tiere daran, den im alpinen Raum so wichtigen Schutzwald zu verbeißen, und entlässt sie erst wieder, wenn die Bodenvegetation wieder
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