Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
verhindert?«, fragte Andrea zögernd.
Irmi nickte ihr zu. »Gute Frage, die Lektorin konnte das auch nicht sagen, aber egal wie – den von Brennerstein besuchen wir jetzt mal.« Sie grinste Kathi an. »Und wir pokern ein wenig.«
»Aye, Aye, Sir!«, machte Kathi.
Es klopfte, und herein stolperte der Hase, der Irmi heute noch dünner vorkam als im Wald der von Brauns. Aber da hatte er auch eine Daunenjacke getragen. Heute hatte er eine Softshellweste an, und die hatte er sicher in der Kinderabteilung gekauft. Er wusste zu berichten, dass die Waffen vom Karwendel-Hias clean waren. Aus keiner war vor Kurzem geschossen worden, und kein Gewehr wies die Eigenschaften auf, die gepasst hätten. Kollege Hase hatte mit ein paar Ballistikern Material gesichtet, Vergleichswunden analysiert, auch Wunden an gewilderten Tieren. Die Experten waren zu dem Schluss gekommen, dass die Tatwaffe höchstwahrscheinlich eine umgearbeitete Biathlonwaffe war.
Vielleicht war es Sailer, der den Ausschlag gab. Er lachte polternd und sagte: »Die Magdalena Neuner wird’s scho ned gewesen sein.«
»Die Martina, die wo mal Glagow g’hoaßn hot, aa ned«, setzte Sepp noch eins drauf.
»Ja, und die Miri Gössner auch nicht und all die anderen netten Mädels.« Irmis Ton war eisig. »Und der Kasperle im Kasperletheater war es auch nicht, der haut ja immer nur das Krokodil.«
Sepp starrte seine Chefin entgeistert an.
»Was ihr hier veranstaltet, ist Kasperletheater!«, fuhr Irmi fort. »Aber aus irgendeiner Waffe wurde geschossen, und drum werdet ihr jetzt mal alle Biathlonvereine überprüfen und auch die Sportschützen, denn alle müssen ihre Waffen ja ordentlich versperrt aufbewahren. Und registrieren. Schaut euch die Jäger in der Region an, das hier ist doch kein Verbrechen, wo ein Auftragskiller mal schnell aus Weißrussland eingeflogen wird. Hier geht es um etwas Privates. Ich bin der Meinung, dass der Täter dicht dran war an Regina von Braun.«
»Des is a Witz«, kam es von Sailer.
»Kein Witz, mir ist heute gar nicht so witzig zumute. Wir haben eine tote Frau, und es sind schon zwei Tage vergangen, ohne dass wir irgendwas hätten. Also gehen wir jetzt mal ganz systematisch vor, das nennt man Polizeiarbeit. Wir sind hier nicht beim Fernsehen, wo dumme Bullen allein irgendwo reinmarschieren und eins auf die Mütze kriegen.« Im gleichen Atemzug wusste Irmi, dass sie auch so eine dumme Bullin war, die gefährliche Alleingänge machte. Aber keiner der Kollegen sagte noch etwas.
Sogar Kathi war relativ schweigsam, als sie sich Richtung Tölz aufmachten. Es hatte zu schneien begonnen. Fette, nasse Flocken sanken hernieder. Es war bald Ostern, so gehörte sich das im Voralpenland. Schnee zu den unmöglichsten Zeiten, bloß nie an Weihnachten. Einen Vorteil hatte das: Kathi war relativ schnupfenfrei, der Schnee klebte die Pollen zusammen.
Sie verließen die Hauptstraße und schraubten sich ein wenig hinauf bis Wackersberg. Schmucke Höfe, ein ganz anderer Baustil als im Werdenfels. Irmi entdeckte eine Inschrift, die in Stein gehauen war: »Sieh das Leiden unsres Herrgotts, der uns dies schöne Land bescherte, sieh den Bauernstand, den stolzen, und die Politik, die g’scherte.« Das stand bestimmt schon länger da, schon vor den Querelen wegen des Milchpreises, lange vor dem aktuellen Versagen der Landwirtschaftspolitik. Sie passierten eine Pestkapelle, und auf einmal hatte Irmi das Bedürfnis anzuhalten.
»Willst du beten oder was?«, maulte Kathi. Trotz Pollenbefreiung war Kathi heute wenig genießbar.
Irmi zuckte mit den Schultern und ging los. Während des Dreißigjährigen Krieges hatte die Region fast alle Einwohner verloren. Die wenigen Überlebenden hatten die traurige Pflicht, sie in einem großen Hügelgrab beizusetzen, und 1638 hatten sie die Pestkapelle errichtet. Irmi wusste gar nicht, warum sie das heute so berührte, und begann im Gästebuch zu lesen. Eine Gra˙zyna aus Polen, die in Wackersberg arbeitete, freute sich über den schönen Tag, und eine Melanie wünschte sich eine gute Prüfung im Februar und im März und eine neue Arbeit. Einfache Wünsche.
Ja, manchmal wünschte sich Irmi auch eine neue Arbeit und eine neue Kollegin. Ihre stand ans Auto gelehnt, rauchte und sah sie an, als wäre sie sowieso irrsinnig. Am liebsten hätte sich Irmi auf die Terrasse des Gasthofs Waldherr gesetzt und ein paar Obstler gekippt. Auch das war ein Wunsch, den sie selten hegte, aber heute war ihr so kalt. Innerlich und
Weitere Kostenlose Bücher