als Irmi sie wieder aufhob, blieb ihr Auge an der Adressatenzeile hängen. Diese Mail war an
[email protected] gegangen. Normalerweise kamen E-Mails zurück, wenn die Adresse nicht stimmte. Das hatte Irmi wegen ihrer eigenen Schussligkeit schon öfter erleben dürfen. Aber wie dem Ausdruck ganz klar zu entnehmen war, waren da einige E-Mails hin und her gegangen:
Liebe Frau von Braun,
wir haben uns nun doch für den Titel ›Männerwelt(en)‹ entschieden. Ich hoffe, er gefällt Ihnen so gut wie uns.
Mit herzlichen Grüßen
Anette Schmied
Liebe Frau Schmied,
doch ja, ich glaube, das trifft den Inhalt ziemlich gut.
Mit freundlichen Grüßen
RvB
Liebe Frau von Braun,
Sie kommen ja nach Ostern ins Verlagshaus. Wir besprechen dann das weitere Vorgehen. Der Vertrieb und die PR-Abteilung werden auch da sein. Wir freuen uns.
Herzlich
Anette Schmied
Liebe Frau Schmied,
wunderbar. Ich hoffe, bei meinem Besuch auch schon den ersten Teil des Manuskripts fertig zu haben. Ich hatte eine Idee bezüglich des Tagebuchs.
Mit freundlichen Grüßen
RvB
Irmis Herz klopfte. Sie fuhr ihren Computer hoch und suchte nach der Homepage des Corecta Verlags. Unter dem Stichpunkt ›Das Team‹ gab es eine Vorstellung der Mitarbeiter: Anita Schmidt, Lektorin für Natur/Garten/Wald/Jagd, Anette Schmied, Lektorin Belletristik. Regina von Braun hatte mit zwei Damen konferiert! Und es war um ein zweites Buch gegangen!
Irmi saß wie auf Kohlen, bis Anita Schmidt kurz nach acht ans Telefon ging.
»Frau Schmidt, ist es richtig, dass Frau von Braun ein zweites Buch in Ihrem Verlag publizieren wollte?«
»Ähm, na ja …«
»Ja, was nun? Ja oder nein?«
»Im Prinzip ja, aber …«
»Wir sind hier nicht bei Radio Eriwan. Was ist denn so schwierig an dieser Frage?«
Frau Schmidt schnaufte wie ein Walross. »Darf ich Sie dazu mit der Verlagsleitung, mit Herrn Dr. Eberhardter, verbinden?«
»Bitte!« Tu felix Austria. Jeder, der eine Uni von innen gesehen hatte, schien da ein Doktor zu sein. Oder waren das die Italiener, die sofort Dottore oder Dottoressa wurden?
Es dauerte ziemlich lange, bis sich ein Herr Eberhardter meldete. Ohne Doktor wohlgemerkt. Bis dahin war Irmis Ohr von einem Schnaderhüpferl mit Jagdhornbläsern traktiert worden.
Der Herr Eberhardter sprach ein dezentes Tirolerisch, das durchblicken ließ, dass der Zillertaler mittlerweile zivilisiert war. Der Mann war ausgesucht freundlich, er sprach ruhig und bedächtig, dass man den Eindruck hatte, er wiege jedes Wort sorgsam ab. Natürlich war er sehr betroffen von Reginas Tod. Dann kam Irmi auf das Buchprojekt zu sprechen.
Wieder zögerte er kurz und sagt dann mit seiner angenehmen Stimme: »Sehen Sie, wir saßen wegen des Jagdbuchs zusammen und nahmen im Penz auf der Dachterrasse unsern Lunch ein. Wir waren beim Thema Wildern, natürlich. Da hat Regina von Braun gemeint, dass Frauen nie wildern würden. Wir unterhielten uns über die üblichen Mann-Frau-Klischees, und Regina von Braun begann mir ein bisschen aus ihrer Familiengeschichte zu erzählen. Der Fokus lag darauf, dass sich Frauen zwar vordergründig emanzipiert hätten, in Wahrheit aber immer noch Opfer einer Männerwelt seien. Sie ist, äh, war eine sehr charismatische Frau, und sie erzählte mir das alles in so plastischen Bildern, dass in mir die Idee reifte, daraus könnte ein Buch werden.«
»Aber es wäre dann in einer anderen Sparte erschienen, oder?«
»Richtig, wir haben eine belletristische Abteilung, ein Imprint namens Helena, wo wir vor allem Frauenliteratur verlegen. Krimis, historische Frauenromane. Sehen Sie, ich sollte das vielleicht nicht sagen, aber ich bin diese Krimis, die mit allzu vielen Klischees spielen, allmählich leid und glaube, dass gut gemachte Familiengeschichten künftig gute Chancen haben werden.«
»Und Regina von Brauns Geschichte hatte das Potenzial?«
»Unbedingt!«
»Ist es nicht ungewöhnlich, dass jemand parallel zwei Bücher schreibt?«
»Ach, es gibt viele Autoren, die parallel an mehreren Projekten arbeiten. Regina von Braun war es ein echtes Anliegen, sich auszudrücken. Sie hatte keine Scheu davor, sich zu exponieren. Auch mal zu provozieren.«
»Ja, bis in den Tod!«, sagte Irmi zynisch.
»Sie wollen nun aber nicht sagen, ihr Tod hätte etwas mit ihrem schriftstellerischen Schaffen zu tun?«
»Ich will gar nichts sagen. Ich muss nur das Mordopfer bis in den letzten Winkel ausleuchten.« In den dunklen Ecken versteckt sich gerne der Unrat