Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
verblassen. Hatte Tommy seinem Vater beweisen wollen, dass er eben doch zu etwas nutze war? Hatte er deshalb Regina erschossen? »Über Marc von Brennerstein wusste Ihr Vater von Reginas Buch, nicht wahr?«, fragte Irmi nach.
»Ja. Er hat gesagt, dass er es nicht tolerieren werde, dass ich ihn schon wieder lächerlich mache. Und dass ich diese Regina stoppen soll.« Er schaute erschrocken hoch.
»Tommy«, sagte Irmi vorsichtig. »Wovon sprach er? Nur von dem Jagdbuch?«
Tommy war wirklich völlig durch den Wind. »Ja, sicher. Wovon denn sonst?«
»Wussten Sie, dass eine Straße nach Ihrem Vater benannt werden soll?«
»Selbst ein so dämlicher Loser wie ich liest Zeitung. Darum ist mein Alter ja auch gekommen. Weil er nicht noch mehr Schande ertragen kann, die sein dummer Sohn über ihn bringt.«
Tommy hatte tiefe seelische Verletzungen davongetragen, da war sich Irmi sicher. Obwohl er deutlich jünger war als sie, stammte ihr Vater aus jener Generation von Eltern, aus deren Sicht das Kind in jedem Fall unrecht hatte. Ohne es zu hinterfragen, hatten unfaire und quälerische Lehrer recht bekommen. Ohne es zu hinterfragen, hatte man sich beim Nachbarsbuben entschuldigen müssen, dem man eine Zaunlatte auf den Kopf geschlagen hatte. Dass der wiederum ständig das Meerschweinchen gequält hatte, das hatte der Vater nicht wissen wollen. Ohne es zu hinterfragen, war man beschimpft worden, weil man wieder nur einen Dreier geschrieben hatte. Dabei war der Schnitt der Klassenarbeit vielleicht so schlecht gewesen, dass die Drei die beste Note gewesen war. Irmi konnte sich an dieses ohnmächtige Gefühl bis heute erinnern. An die Verzweiflung, unfair behandelt worden zu sein.
Heute lief das ganz anders. Die Kinder, insbesondere die Einzelkinder von sehr spät Gebärenden, hatten immer recht. Sie durften sich danebenbenehmen, man verklagte stattdessen die Lehrer. Mit ausreichend Druck und Geld und Juristerei konnte man den Hinauswurf einer Erzieherin bewerkstelligen. Man trichterte dem Nachwuchs ein, wie grandios er sei. Schon mit der Muttermilch tropfte grenzenloses Selbstbewusstsein ins Ich. O ja, da rollte eine Welle neurotischer Egomanen auf die Welt zu!
Tommy tat ihr leid. Und das Gefühl, als Kind missachtet worden zu sein, erschien ihr ein weit besseres Motiv zu sein als die in Aussicht gestellten zweitausend Euro.
»Ja, und dann? Was geschah nach dem Besuch Ihres Vaters?«
»Das hab ich euch doch schon hundert Mal gesagt. Ich war bei Regina, aber sie hat abgewiegelt. Hat gesagt, dass sie immer noch selber entscheiden werde, was sie schreiben will. Sie und der Verlag. Und sie hat gesagt, dass jeder Mensch ein Recht habe, zu wissen, wo er herkommt, um entscheiden zu können, wo er in Zukunft hingeht. Dass jede Familiengeschichte etwas mit der eigenen Identität zu tun habe. Und dass man sich stellen müsse. Dass das alle müssten.«
Irmi sah ihn genau an. Tommy Wallner wirkte verwirrt und konzentriert zugleich. »Kam Ihnen das seltsam vor?«
»Sie war komisch, wie gesagt. Aufgewühlt irgendwie. Ich hab gar nicht verstanden, was sie eigentlich gemeint hat. Dann hab ich noch mal gesagt, dass sie einen Fetzenärger von uns allen kriegt, und bin gegangen. Ich hab sie nicht erschossen.«
Und das glaubte Irmi ihm sogar. Dennoch verschwand Tommy wieder in seinem Zuhause auf Zeit, denn die Staatsanwaltschaft war dafür, ihn weiter mürbe zu kochen, bis er gestehen würde.
»Sein Vater hat ihm sicher jedes Selbstbewusstsein geraubt«, meinte Kathi. »Manchmal bin ich froh, dass ich meinen Vater nicht mehr groß erleben musste. So eine Scheißwelt!«
Irmi lächelte müde. »Was muss Tommys Vater manipulativ sein! Da weiß er von dem zweiten Buch und spricht doch nur von den Jagdgeschichten. Lenkt seinen Sohn geschickt. Lässt ihn an den Fäden wie eine Marionette tanzen!«
»Du willst also sagen: Mord durch Manipulation. Von Brennerstein wäre damit raus. Den fiesen Schnösel und seinen noch schnösligeren Anwalt kriegen wir nie dran, oder?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr.«
Es war Donnerstagnachmittag. Die Staatsanwaltschaft hoffte darauf, dass Wallner morgen gestehen würde. Falls nicht, würde ihn ein weiteres Wochenende endgültig brechen.
»Wir könnten Wallner senior in Innsbruck besuchen, das wäre ein netter Ausflug!«, sagte Kathi plötzlich.
»Kathi, wir sind da nicht zuständig. Wie müssen offizielle Wege einhalten.«
»Ich hab da ein paar Ideen! Lass mich machen. Wir treffen uns
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