Plötzlich durch Gewalt
begann er, von dem Dröhnen der Baßgeige begleitet, ein Gedicht zu rezitieren. Ich erkannte das daran, weil meine
Begleiterin mir sagte, es wäre ein Gedicht.
Ich verstand über dem
allgemeinen Lärm, der zum Glück ungehindert weitertobte, nur ein paar Worte.
»Abfalleimer, Müllplatz, Abwasserkanal und Schleim«, rezitierte der Dichter mit
leidenschaftlicher, eindringlicher Stimme. »Was zum Teufel geht vor mich kümmert’s nicht und wären’s Rosenknospen Rosenknospen Rosenknospen .«
Der Bursche mit der glitzernden
Brille ertrug es nicht länger. »Mann«, schrie er wild, »da mache ich mit .« Dann packte er meine Begleiterin und zog sie auf den
freien Platz in der Mitte des Raums, und sie rotierten langsam und
geheimnisvoll zu den Tönen der Baßgeige und dem
Geplärr des Dichters. Mein weiblicher Beatnik — oder heißt die weibliche Form
richtig Beatnika — sah dabei aus, als ob ihr jemand
Juckpulver unter den Strumpfhalter gestreut hätte und sie versuche, es wieder
loszukriegen; selbstverständlich ohne die Hände zu Hilfe zu nehmen.
Ich zündete mir eine Zigarette
an und stürzte mich kopfüber in die wogende Masse Mensch auf der Suche nach
Douglas Sheatham . Nach ein paar Minuten harter
Ellbogenarbeit hatte ich vielleicht ein Sechstel des Raums hinter mich gebracht
und begann mich zu fragen, ob sich die Mühe überhaupt lohnte. Während ich
stehenblieb, um darüber nachzudenken, fand ich mich einer überdimensionalen
Blondine gegenüber, die gut und gern vierzig Sommer und dazu mindestens
fünfundvierzig Winter gesehen hatte.
Sie trug ein schwarzes,
enganliegendes Cocktailkleid, und man hätte fast an jeder Stelle einen Cocktail
über sie ausgießen können, ohne daß ihr Kleid naß geworden wäre. Brillanten quollen unbescheiden von den meisten ihrer Finger,
und sie paßte in keiner Weise in diese
Beatnik=Umgebung.
»Hallo.« Es glitzerte und
blinkte, als sie mich anlächelte und damit bewies, daß die Zahnheilkunde viel
mehr eine Kunst als eine Wissenschaft ist. »Sind Sie ein Freund von Freddie ?«
»Ich hab ihn nie im Leben
gesehen«, sagte ich. »Und wenn ich nur ein bißchen aufpasse, wird es mir
vielleicht gelingen, ihm auch nie zu begegnen .«
»Ich kenne ihn auch nicht«,
sagte sie. »Aber Harry hat mich mit hergenommen, und ich finde es großartig.
Sie nicht auch?«
»Reiner Wahnsinn«, antwortete
ich und versuchte, dem Dunst des südafrikanischen Sherrys auszuweichen; ich
hatte aber kein Glück.
»Ich finde die Atmosphäre hier
im Village einfach großartig«, fuhr die Blonde
unbeirrt fort. »Ich finde, sie ist nach dem Schmutz von Manhattan geradezu
erfrischend. Meinen Sie nicht auch ?«
»Das hier muß einer der Orte
sein, wo man sich eine kranke Lunge holen kann, selbst wenn man nicht raucht«,
stimmte ich zu.
»Sie sehen nicht nach einem
Künstler aus«, sagte sie. »So wie Sie sich anziehen und alles andere. Lassen
Sie mich raten. Sie sind Werbemann .«
»Werben tut man in meinem Beruf
nie«, versicherte ich ihr.
»Oh!« Sie machte ein
nachdenkliches Gesicht, so als ob sie darüber nachdenke, weshalb der Gasmann wohl
nicht mehr käme. »Lassen Sie mich’s noch mal
versuchen. Verleger?«
»Auch falsch.«
»Dann haben Sie gar nichts mit
einer schöpferischen Tätigkeit zu tun ?« fragte sie
traurig.
»Meine Dame«, sagte ich voller
Würde, »ich bin ein Einbalsamierer . Und ich sage Ihnen,
es gibt keine schöpferischere Tätigkeit als eine gute Einbalsamierung von der
Hand eines Künstlers. Überlassen Sie uns Ihre teuren Lieben, und wenn wir mit
ihnen fertig sind, werden Sie sie nicht wiedererkennen. Sie sehen tot besser
als in ihrem ganzen Leben aus .«
Sie schluckte schwer. » Einbalsamierer ?« sagte sie mit
schwacher Stimme. »Ein echter Einbalsamierer ?«
»Ich versichere Ihnen«, sagte
ich begeistert, »wenn man’s richtig macht, ist es eine Kunst für sich. Ich will
es Ihnen ganz genau erklären. Zunächst wird die Leiche hereingebracht...«
»Nein«, unterbrach sie mich
schrill, »bemühen Sie sich nicht. Ich glaube Ihnen aufs Wort, Mr.... Mr....?«
»Stone«, ergänzte ich. » Hedley Stone. Die meisten Leute nennen mich einfach Hed .«
»Ich bin Eugenie Calton «, sagte sie. »Sind Sie mit jemandem gekommen, oder
sind Sie allein hier... Hed ?«
»Etwas hat mich hierhergeführt,
aber jetzt ist es verschwunden, Jenny«, antwortete ich in freundlichem Ton.
»Wollen Sie es wirklich nicht genau erfahren? Mit der Gesichtsmassage und
allem?«
»Bestimmt
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