Plötzlich Fee Bd. 3 Herbstnacht
den Raum wirbelten. Sie verschmolzen miteinander und fügten sich zu Tausenden Bildern zusammen, die durch die Luft flatterten wie kopflose Tauben. Während ich noch atemlos zusah, rotteten sie sich alle zusammen und stürzten sich auf mich wie ein Vogelschwarm in einem Horrorfilm. Ich wurde mit einem endlosen Strom von Bildern und Emotionen bombardiert, die alle gleichzeitig versuchten, in meinen Kopf einzudringen.
Ich legte die Hände vor mein Gesicht und versuchte sie abzuwehren, aber es half nichts. Die Bilder kamen unaufhaltsam und zuckten durch meinen Kopf wie Stroboskoplichter. Ein Mann mit glatten braunen Haaren, langen, sanften Fingern und Augen, die immer lächelten. Die Bilder zeigten alle ihn. Ihn … wie er mich auf der Schaukel im Park anschubste. Wie er mein erstes Fahrrad hielt, während ich schwankend den Bürgersteig entlangfuhr. Wie er an unserem alten Klavier saß und seine langen Finger über die Tasten fliegen ließ, während ich auf dem Sofa kauerte und ihm beim Spielen zusah.
Wie er in einen winzigen grünen Tümpel stieg und das Wasser über seinem Kopf zusammenschlug, während ich schrie und schrie, bis die Polizei kam.
Als es endlich vorbei war, kniete ich auf dem Boden und Ash hatte die Arme um mich geschlungen und drückte mich an seine Brust. Ich keuchte, hatte die Hände in sein Hemd gekrallt und spürte seinen gespannten Körper neben mir. Mein Kopf schien übervoll zu sein und pochte, als würde er gleich explodieren, einfach an den Nähten aufplatzen.
Aber ich erinnerte mich. An alles. Ich erinnerte mich an den Mann, der sich sechs Jahre lang um mich gekümmert hatte. Der mich aufgezogen und geglaubt hatte, ich sei seine Tochter, ohne etwas von meiner wahren Herkunft zu ahnen. Oberon hatte ihn als Fremden bezeichnet, aber der hatte ja keine Ahnung. Was mich anging, war Paul mein Vater, und zwar in jeder Hinsicht – außer biologisch. Oberon mochte ja mein leiblicher Vater sein, aber er war nie da gewesen. Er war ein Fremder, der sich kein Stück für mein Leben interessierte, der mich Tochter nannte, mich aber kein bisschen kannte. Der Mann, der mir mit melodiöser Stimme Gutenachtgeschichten vorgelesen hatte, der mir Einhorn-Pflaster auf meine aufgeschrammten Ellbogen geklebt hatte und mich auf seinen Knien reiten ließ, während er Klavier spielte – das war mein richtiger Vater. Und das würde ich immer genauso sehen.
»Geht es dir gut?« Ashs kühler Atem strich über meinen Nacken.
Ich nickte und richtete mich auf. Mein Kopf schmerzte immer noch, und es würde viele Stunden dauern, diese Flut von Bildern und Emotionen zu ordnen, aber ich wusste endlich, was ich zu tun hatte.
»Alles klar, Grim«, sagte ich und sah mit neuer Entschlossenheit zu dem Tisch hoch. »Ich habe, weshalb ich gekommen bin. Jetzt bin ich bereit, mich mit Leanansidhe zu treffen.«
Doch ich bekam keine Antwort. Grimalkin war verschwunden.
Glitchs Widerstand
»Grimalkin?«, rief ich noch einmal und sah mich in dem Raum um. »Wo bist du?« Nichts. Das war ein schlechtes Zeichen. Grimalkin verschwand oft, wenn es Ärger gab, und zwar ohne Erklärung oder Warnung an den Rest von uns. Manchmal verschwand er natürlich auch einfach, weil ihm gerade danach war. Es ließ sich also eigentlich nicht wirklich etwas daraus ableiten.
»Meghan.« Ash starrte mit zusammengekniffenen Augen aus dem Fenster. »Ich denke, das solltest du dir ansehen.«
Vor dem Museum stand eine Gestalt auf der Straße. Kein Mensch, so viel konnte ich erkennen. Auch wenn er zerrissene Jeans und eine Nietenlederjacke trug, verrieten ihn doch das kantige, schmale Gesicht und die spitzen Ohren. Das und die Tatsache, dass zwischen den zerzausten schwarzen Haarsträhnen, die zu einer Punkfrisur aufgetürmt waren, grelle Lichtblitze zuckten, die mich an die Plasmalampen in Krimskramsläden erinnerten. Seine Haltung verriet, dass er offenbar auf uns wartete.
»Eine Eiserne Fee«, murmelte Ash und ließ die Hand auf den Schwertgriff sinken. »Willst du, dass ich ihn töte?«
»Nein«, sagte ich und legte ihm eine Hand auf den Arm. »Er weiß, dass wir hier sind. Wenn er uns angreifen wollte, hätte er es schon längst getan. Lass uns erst mal hören, was er will.«
»Davon würde ich abraten.« Ash sah mich finster an, und in seinem Blick lag eine Spur Verbitterung. »Denk dran, dass der falsche König immer noch hinter dir her ist. Du kannst den Eisernen Feen nicht trauen, vor allem jetzt. Warum willst du überhaupt mit ihm reden? Das
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