Plötzlich Fee - Sommernacht - Kagawa, J: Plötzlich Fee - Sommernacht - The Iron Fey, Book 1: The Iron King
letzte Chance, umzukehren.
Nein, sagte ich mir. Ich kann nicht zurück. Ethan ist irgendwo da draußen. Ethan zählt auf mich. Also holte ich tief Luft und trat einen Schritt nach vorn.
In diesem Moment schoss eine faltige Hand unter dem Bett hervor und umklammerte meinen Knöchel. Sie zerrte wie wild daran, und ich wäre fast hingefallen, während aus der Dunkelheit unter dem Bett ein unheimliches Fauchen erklang. Mit einem Schrei trat ich nach der Klaue, sprang blindlings in den Kleiderschrank und warf die Tür hinter mir zu.
Das Nimmernie
Als mich die muffige Dunkelheit von Ethans Kleiderschrank umfing, drückte ich eine Hand an die Brust und wartete wieder einmal darauf, dass sich mein Herzschlag beruhigte. Abgesehen von dem feinen Lichtrechteck, das sich an der Rückwand abzeichnete, herrschte absolute Finsternis. Ich konnte Robbie nicht sehen, spürte ihn aber in meiner Nähe und hörte seine leisen Atemzüge an meinem Ohr.
»Bereit?«, flüsterte er. Sein Atem strich warm über meine Haut. Noch bevor ich antworten konnte, drückte er gegen die Tür, die sich quietschend öffnete und den Blick auf das Nimmernie freigab.
Fahles silbriges Licht strömte in den Schrank. Die Lichtung auf der anderen Seite der Tür wurde von riesigen Bäumen umstanden, die so dick und dicht belaubt waren, dass zwischen ihren Ästen kein Himmel zu sehen war. Nebelschwaden zogen wabernd über den Boden, und der Wald war so düster und still, als wäre er in ewigem Zwielicht gefangen. Hier und da leuchteten einzelne Farbtupfer und durchbrachen das vorherrschende Grau. Ein Fleck mit Blumen, deren Blüten geradezu elektrisierend blau waren, wiegte sich sanft im Nebel. Eine Ranke wand sich um den Stamm einer sterbenden Eiche, wobei ihre
langen roten Dornen in starkem Kontrast zu dem Baum standen, den sie tötete.
Die warme Brise trug eine verwirrende Mischung von Gerüchen in den Schrank. Gerüche, die es eigentlich gar nicht zusammen an einem Ort geben sollte. Zerdrückte Blätter und Zimt, Rauch und Äpfel, frische Erde, Lavendel und der feine, durchdringende Geruch von Moder und Verwesung. Einen Moment lang nahm ich einen Hauch von Metall und Kupfer wahr, der sich um den Modergeruch legte, doch beim nächsten Atemzug war er verschwunden.
Über uns schwirrten scharenweise Insekten, und als ich genauer hinhörte, glaubte ich, Gesang zu vernehmen. Auf den ersten Blick schien der Wald völlig leblos zu sein, doch dann entdeckte ich Bewegungen in den Schatten und hörte, wie die Blätter um uns herum raschelten. Von überall her schienen mich unsichtbare Augen zu beobachten, sich in meine Haut zu bohren.
Robbie, dessen Haare wie eine leuchtende Flamme um seinen Kopf wehten, trat durch die offene Tür, blickte sich um und lachte. »Daheim.« Mit einem Seufzer breitete er die Arme aus, als wollte er alles an seine Brust drücken. »Endlich bin ich daheim.« Er drehte sich wie wild im Kreis, ließ sich dann immer noch lachend rückwärts in den Nebel fallen – wie jemand, der einen Schnee-Engel macht – und war verschwunden.
Ich schluckte schwer und machte vorsichtig einen Schritt aus dem Schrank. Der Nebel kroch um meine Knöchel, als wäre er lebendig, und streichelte mit feuchten Fingern meine Haut. »Rob?«
Die Stille schien mich zu verspotten. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie etwas Großes, Weißes wie Quecksilber zwischen die Bäume glitt.
»Rob?«, rief ich wieder und schlich zögernd zu der Stelle, an der er sich fallen gelassen hatte. »Wo bist du? Robbie?«
»Buh!«
Rob erhob sich hinter mir aus dem Nebel wie ein Vampir aus seinem Sarg. Zu sagen, ich hätte geschrien, wäre wohl untertrieben gewesen.
»Sind wir heute ein wenig schreckhaft?« Robbie sprang lachend außer Reichweite, bevor ich ihn umbringen konnte. »Du solltest nur noch Koffeinfreien trinken, Prinzessin. Wenn du jedes Mal so schreien willst, wenn ein Schwarzer Mann auftaucht und ›Buh!‹ macht, bist du fix und fertig, bevor wir aus dem Wald draußen sind.«
Er hatte sich verändert. Seine Jeans und das abgerissene T-Shirt waren verschwunden und durch eine leuchtend grüne Hose und einen dicken braunen Kapuzenpulli ersetzt worden. Seine Füße konnte ich im Nebel nicht genau erkennen, aber es sah fast so aus, als hätte er seine Sneakers gegen weiche Lederstiefel getauscht. Sein Gesicht war schmaler, markanter und spitzer zulaufend. Zusammen mit seinen rotbraunen Haaren und den grünen Augen erinnerte mich sein Anblick an einen grinsenden
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