Ploetzlich Mensch
Leser.
Glücklicherweise war seine menschliche Nase nicht einmal ann ä hernd so empfindlich wie die eines Vampirs, was ihm in diesem M o ment einiges an unangenehmen Sinneseindrücken ersparte. Eine schlechte Wahrnehmung konnte auch Vorteile haben.
Er versuchte , den Geruch zu ignorieren und trat mit zielstrebigem Schritt auf den geschwungenen Holztresen zu, der sich auf der gege n überliegenden Seite der weitläufigen Eingangshalle befand.
Seine Schritte hallten von den Wänden wider, bis hinauf zu der kunstvoll bemalten Glaskuppeldecke, die gut zehn Stockwerke über ihm lag.
„ Hallo, Dean“, erklang eine leise Stimme von jenseits des Tresens und ein paar leuchtend grüne Augen, die von buschigen roten Auge n brauen umrahmt wurden, lugten vorsichtig über den Rand der Tisc h platte. „Das ist aber schön, dass du mal wieder vorbeischaust.“
Ein leises Rumpeln war zu hören. Dann tauchte der Kopf der ro t haarigen Zwergenfrau, die quasi schon zum Inventar dieses altehrwü r digen Gemäuers zählte, hinter dem Tresen auf.
„ Hallo, Nelly. Wie geht es dir, meine Kleine?“ Er schenkte ihr ein charmantes Lächeln, das sein Gegenüber sofort dahinschmelzen ließ. Die Zwergin kicherte mädchenhaft, wobei ihr langer Bart über die Tischplatte wischte.
Dean hatte es schon immer als seltsam empfunden, dass bei den Zwergen beide Geschlechter über eine ausgesprochen starke Gesicht s behaarung verfügten. Selbst Kleinkinder besaßen schon einen ausg e prägten Bartwuchs, was es natürlich umso komplizierter machte, das Alter eines Zwerges zu bestimmen.
Es gab zwar Zwerginnen, die sich ihren Bart abrasierten, doch diese genossen meistens einen eher zweifelhaften Ruf. Es galt unter ihre s gleichen als schamlos, geradezu obszön, seine blanke Gesichtshaut o f fen zu r Schau zu stellen. Was gelegentlich schon zu unschönen Übe r griffen von männlichen Zwergen auf kleinwüchsige Menschenfrauen geführt hatte. Wirklich ein seltsames Völkchen, diese Winzlinge.
„ Was kann ich für dich tun, Dean?“, wollte Nelly wissen, während ihr Blick schmachtend an seinen Lippen klebte. Dieses Mädchen war hoffnungslos in ihn verschossen. Eine Tatsache, die durchaus ihre Vorzüge hatte.
„ Ich bin auf der Suche nach Informationen über … hm. Na ja … Rückverwandlungen von u ntoten Wesen in … ihre ursprüngliche Form. Hast du da vielleicht etwas für mich, meine Kleine?“, säuselte er einschmeichelnd.
Nelly kicherte wieder und klimperte schüchtern mit den Augenlidern. „Rückverwandlungen von Untoten? Ist so etwas überhaupt möglich?“
„ Genau das möchte ich herausfinden.“ Es wunderte ihn, dass die Zwergin die Tatsache, dass er als Vampir hier am helllichten Tag in diesem lichtdurchfluteten Raum stehen konnte, überhaupt nicht zu irritieren schien. Aber Liebe machte ja bekanntlich blind.
„ Wir haben da ein paar Bücher über weiße Magie. Vielleicht findest du da etwas zu dem Thema. Warte hier. Ich such sie dir raus.“
Er schenkte ihr erneut ein Lächeln. „Das wäre super, Nelly.“
Die grünen Augen strahlten vor Begeisterung über diesen Zuspruch. Die Zwergenfrau sprang mit einem Satz von der Leiter, auf der sie bis jetzt gestanden hatte, und huschte mit flinken, kleinen Schritten davon. Irgendwie tat es gut, zu sehen, dass er auch als Mensch seinen Charme nicht völlig verloren hatte. Zumindest dieser kleinen bärtigen Frau vermochte er noch immer den Kopf zu verdrehen. Er lächelte zufri e den und lehnte sich lässig gegen den Holztresen. Er hatte es noch i m mer drauf. Auch ohne seine Vampirkräfte.
Blieb nur zu hoffen, dass sich in einem dieser alten Wälzer hier eine Lösung für sein Problem finden würde. Er hatte keine Ahnung, wo er sonst noch danach suchen sollte.
Nun doch ein wenig unruhig wippte er von einem Fuß auf den and e ren. Eigentlich war er überhaupt nicht in der Stimmung untätig heru m zustehen. Doch was blieb ihm anderes übrig, als zu warten? Ohne fremde Hilfe würde er in diesem riesigen, unübersichtlichen Sammels u rium von uraltem Papier nicht einen einzigen hilfreichen Satz finden.
Seine Finger trommelten auf der Holzplatte des Tresens, während sein Blick über die mit Büchern gefüllten Wände der Eingangshalle wanderte. Die Bibliothek war um diese Tageszeit nicht gerade gut b e sucht. Nur wenige Leser waren zwischen den Regalreihen unterwegs. Schräg gegenüber stand ein dunkelhäutiger Satyr mittleren Alters vor einem Zeitschriftenständer mit der
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