Ploetzlich Mensch
bemerken. Sag kein Wort und lauf mir einfach nach, hörst du mich?“
Sie blickte ihn nur aus großen Augen an. Er seufzte, packte ihre Hand und zog sie mit sich zur Wohnungstür hinaus. Er hatte keine Ahnung, wie sie es schaffen sollten, unbemerkt aus dem Haus zu kommen. Es gab nur zwei Wege nach unten, den Fahrstuhl und das Treppenhaus. Der Fahrstuhl fiel aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihren Verfolgern damit genau in die Arme liefen, war viel zu groß. Blieb nur das Treppenhaus. Doch auch dies barg durch seine zentrale Lage und offene Einsehbarkeit die Gefahr, entdeckt zu werden. Wenn sie das Erdgeschoss nicht erreichten, bevor ihre Verfolger die Haustür aufbrachen, würden sie in der Falle sitzen.
Er hätte sich für seine Unbedarftheit ohrfeigen können. Warum war er so leichtsinnig gewesen? Warum hatte er ein Quartier gewählt, aus dem es nur einen Ausgang gab? Als Vampir war ihm nie der Gedanke gekommen, dass er einmal zu Fuß von hier würde fliehen müssen. Vampire flohen nicht. Sie kämpften. Sie hatten keine Angst vor dem Tod. Sie waren ja bereits gestorben.
Jetzt musste er die Konsequenzen dafür tragen. Als zerbrechlicher Mensch hatte er keine Chance gegen zwei ausgewachsene Minotauren. Es blieb ihnen nur die Flucht.
Es musste einfach gut gehen. Sie mussten es einfach rechtzeitig nach unten schaffen. Doch noch während er diesen Gedanken immer und immer wieder in seinem Kopf wälzte, drang ein lauter Knall und das Geräusch von zersplitterndem Holz zu ihnen herauf. Abrupt blieb er stehen.
Sein Blick glitt über den Rand des Geländers. Mehrere weiß g ewa n dete Gestalten traten gerade vom Eingangsbereich in den lichtdurc h fluteten Innenraum des Treppenhauses. Er spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Noch so eine dumme menschliche Eige n schaft. Das vermehrte Absondern von Körperflüssigkeit in Stresssitu a tionen. Wirklich eklig. Aber er hatte im Moment andere Sorgen.
Sie saßen hier oben in der Falle. Verdammt, verdammt, verdammt! Hektisch wanderte sein Blick den Treppenabsatz auf und ab.
Warum zum Teufel war er noch ein Mensch? Mit seinen Vampirkrä f ten hätte er Clara hochgehoben und wäre einfach mit ihr über die Brüstung hinunter ins Erdgeschoss gesprungen. Oder er hätte es auf einen Kampf ankommen lassen. Nicht einmal ein Minotaurus war der Kraft und Schnelligkeit eines Vampirs gewachsen. Doch sein mensc h licher Körper würde sich bei einer derartigen Höhe vermutlich sämtl i che Knochen brechen und ein Kampf gegen die Minotauren war ebe n falls völlig undenkbar. Ihnen blieb also nur die Flucht oder Verstecken. Ein Versteck!
Nur ein paar Schritte von ihnen entfernt entdeckte er eine unauffäll i ge Holztür, zu der keine Klingel gehörte, und die die Aufschrift „Re i nigungsmittel“ trug. Er drückte die Türklinke herunter und stellte e r leichtert fest, dass sie sich öffnen ließ. Der Raum dahinter war kaum mehr als eine Einbuchtung in der Wand, die gerade mal einem Besen, einem Eimer und einem hochbetagten Staubsau g er Platz bot. Doch sie war immer noch besser, als von ihren Verfolgern im Treppenhaus ei n geholt zu werden. Mit etwas Glück würden sie einfach an ihnen vorbe i laufen. Er packte Clara mit beiden Händen und zog sie mit sich in die kleine Abstellkammer hinein.
Es kostete ihn einige Mühe, die Tür hinter ihnen zu schließen. Doch schließlich war das Klicken des Schlosses zu hören und die Helligkeit des Treppenhauses verschwand.
Ihnen blieb nur ein schmaler Streifen Licht, der durch einen Spalt an der Unterseite der Tür drang. Dean hatte kaum die Bewegungsfreiheit, auch nur einen Arm zu heben. Der Besenstiel bohrte sich unangenehm in seinen Rücken, während sich von vorn Claras Körper gegen ihn drückte. Ihr Kopf war nur eine Handbreit neben seinem. Er konnte ihren Atem auf seiner Haut spüren. Er roch den süßlichen Duft ihres blonden Haares, ja, er konnte sogar den schnellen, ängstlichen Pul s schlag ihres Herzens spüren. Er war ihr noch nie so nah gewesen. Nicht einmal in dem Moment, als er sie gebissen hatte. Ihr Mund war nur wenige Zentimeter von seinem entfernt. Ihre zarten rosaroten Li p pen so nahe bei ihm.
Er schüttelte unwillig den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Er musste sich zusammenreißen. Sie hatten jetzt wirklich andere Sorgen.
Clara bewegte sich leicht, was in der engen Kammer unweigerlich bedeutete, da s s ihr weicher Körper an seine m rieb.
Oh, Mann. So würde er es nie schaffen ,
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