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Ploetzlich Mensch

Ploetzlich Mensch

Titel: Ploetzlich Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary-Anne Raven
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Schultern und richtete sich dann vo r sichtig auf. Im Dämmerlicht des Wohnzimmers vermochte sie kaum etwas zu sehen. Sie wäre fast über den Couchtisch gestolpert, als sie versuchte sich bis zum Fenster vorzutasten.
    Mit einem Ruck riss sie die Gardinen zur Seite und schloss geblendet die Augen, als das grelle Sonnenlicht in den zuvor stockdunklen Raum eindrang. Für einen Moment genoss sie einfach nur das warme Gefühl auf der Haut. Es fühlte sich so unsagbar gut an und schien ihren Kö r per mit neuer Energie zu füllen. Wie lange war es her, dass sie das Sonnenlicht so genießen konnte? Im Tempel hatte man ihr nie erlaubt, am Tag hinaus in den Garten zu gehen. Die Priester hatten immer g e sagt, dass zu viel Sonnenlicht ihrem Körper schaden würde, doch sie hatte schon lange den Verdacht, dass es mehr damit zusammenhing, welche Wirkung dieses Licht auf Luminis haben könnte. Eigentlich zielten all ihre Verbote und Vorschriften nur daraufhin, das Lichtwesen in ihrem Inneren im Zaum zu halten.
    Zur Hölle mit ihren Vorschriften!
    Mit entschlossenem Griff öffnete sie die Glastür, die hinaus auf den Balkon führte. Ein frischer Morgenwind wehte ihr entgegen. Die Au s sicht von hier auf die Stadt war beeindruckend und zog sie sofort in ihren Bann. In einiger Ferne konnte sie sogar das Meer glitzern sehen.
    Ihr Auftauchen hatte eine Krähe, die bis jetzt auf einem Baum neben dem Haus gesessen hatte, aufgeschreckt. Fasziniert beobachtete sie, wie der Vogel seine schwarzen Schwingen ausbreitete und sich in die Lüfte empor schwang. Wie gern hätte sie es ihm gleich getan.
    Fliegen, so musste wahre Freiheit sein.
    Ihr Blick wanderte nach unten. Das Apartment befand sich im vie r ten Stock. Der Boden lag gut zehn Meter unter ihr. Ob das genügte, um sich das Genick zu brechen? Es wäre nur ein kleiner Schritt nach vorn. Die Arme ausgebreitet wie zuvor der schwarze Vogel, und sich einfach nur fallen lassen …
    „ Nachts ist die Aussicht noch viel beeindruckender. Dann glitzert die ganze Stadt wie ein Christbaum.“ Erschrocken fuhr sie zusammen. Sie hatte nicht bemerkt, dass Dean gekommen war, so in Gedanken ve r sunken war sie gewesen.
    „ Guten Morgen“, begrüßte er sie mit einem freundlichen Lächeln und hielt eine Tüte und zwei Pappbecher hoch. „Ich hab etwas zum Frühstück besorgt.“
    „ Morgen“, erwiderte sie und musterte ihn schüchtern. Sein Haar wirkte ein wenig wirr und auf seinem Kinn zeichneten sich deutliche Bartstoppeln ab. Offenbar hatte er an diesem Morgen noch nicht in den Spiegel geschaut. Eigentlich sah er gar nicht schlecht aus. Ein bis s chen verträumt, ein bisschen verwegen. Dazu das gut geschnittene Hemd, unter dessen grauem Stoff sich deutlich seine breiten Schultern abzeichneten. Ohne dass sie es wollte, schob sich plötzlich wieder der Anblick seines nackten Körpers in ihren Kopf und mit ihm schoss a u genblicklich die Röte in ihre Wangen. Peinlich berührt wandte sie sich ab.
    Verflixt noch mal! Reiß dich zusammen, Clara.
    Sie griff nach einem der Pappbecher und huschte an ihm vorbei z u rück ins Wohnzimmer, ohne Dean noch einmal anzublicken.
    Nach gestern Abend wusste sie nicht recht, wie sie sich ihm gege n über verhalten sollte. Ein Teil von ihr wollte dem freundlichen Lächeln zu gern glauben. Wollte glauben, dass er mehr in ihr sah, als nur ein Mittel zum Zweck. Doch sie hatte gelernt, auf der Hut zu sein und niemandem zu trauen. Schon gar nicht, wenn derjenige versucht hatte, sie zu töten. Diese Tatsache konnte und wollte sie einfach nicht ve r gessen und wenn er noch so nett zu ihr war. Sie ließ sich wieder auf dem Ledersofa nieder und nahm einen großen Schluck aus dem Pap p becher. Laut Aufschrift enthielt er „heiße Schokolade“. Ein Begriff, der ihr vage bekannt vorkam. Sie glaubte sich erinnern zu können, dass ihre Großmutter an kalten Tagen ein derartiges Getränk für sie g e kocht hatte. Als ihr der angenehm süßliche Duft aus dem Becher in die Nase stieg, flackerte das Bild der alten, weißhaarigen Frau vor ihrem inneren Auge auf. Doch es war nur eine verschwommene Wahrne h mung, die sie nicht halten konnte, und die so schnell wieder verblasste, wie sie aufgetaucht war. Es war erschreckend, wie wenig sie sich noch an die Gesichter ihrer Familie erinnern konnte. An die einzigen Me n schen in ihrem Leben, die sie wirklich geliebt hatten, und bei denen sie sich geborgen und sicher fühlte.
    „ Hmm, das musst du probieren, das ist gut.“ Dean hatte in

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