Ploetzlich Mensch
Gefangenen zurasen. Clara nahm die Szene wie in Zeitlupe wahr. Sie sah die Faust, die sich unau f haltsam ihre m Ziel näherte. Dieser Schlag würde Dean töten. Er wü r de seinen Kopf zu Brei zerschmettern. Und sie würde in wenigen Seku n den den einzigen Freund verlieren, den sie noch in dieser Welt ha t te. Der Einzige, der ihr einen Hauch von Hoffnung auf ein normales L e ben gegeben und sich für sie eingesetzt hatte. Die Mischung aus völl i ger Verzweiflung und brennender Wut entfachte ein Feuer in ihrer Brust, wie sie es nie zuvor verspürt hatte.
Sie vernahm ein laut geschrienes „Nein“, in einer Stimme, die en t fernt wie die ihre klang. Dann übermannte sie das Feuer.
9
Als die Faust des Minotaurus auf seinen Kopf zuraste, hatte Dean r e flexartig die Augen geschlossen. Schon der erste Hieb hatte mit einem grässlichen Knirschen seine Nase zertrümmert und ihn fast bewusstlos geschlagen. Dieser würde ihn töten. Daran gab es keinen Zweifel.
Ein hysterisches, schrilles Nein! durchschnitt die Luft.
Clara!
Ihm wurde bewusst, dass ihr verzweifelter Anblick vermutlich das Letzte war, was er in diesem Leben noch zu Gesicht bekommen wü r de. Ein seltsames Gefühl von Traurigkeit legte sich auf seine Brust , und noch während er den nahen Tod erwartete, stellte er sich die Fr a ge, was nun aus ihr werden würde. Allein, ohne ihn.
Der Schlag blieb aus.
Stattdessen war er plötzlich umgeben von einem Licht, das so grell war, dass er es sogar mit geschlossenen Augen wahrnehmen konnte. Dann ein heftiger Schlag, der ihn auf den Boden schleuderte, und dann nur noch Schmerzen.
Ein furchtbares Brennen, das ihm fast die Sinne raubte, ging von se i ner linken Schulter aus. Mit einem Schrei riss er die Augen auf.
Sein linkes Augenlid war durch den Schlag, der seine Nase zertrü m mert hatte, so sehr angeschwollen, dass er kaum noch etwas sehen konnte. Sein Blick glitt an seinem Körper herab und verharrte an der Stelle, die ehemals seine Schulter gewesen war.
Ein faustgroßes Loch klaffte in seinem Fleisch und gab den Blick auf mehrere zertrümmerte Knochen frei. Blut rann schwallweise heraus. Ihm wurde schlecht bei diesem Anblick.
Er versuchte sich aufzurichten, doch der Schmerz war so groß, dass er ihm erneut fast die Sinne raubte. Er fühlte sich benommen und schwach, was wohl eine Folge des hohen Blutverlustes war.
Was war passiert? Hatte der Minotaurus versucht, ihm das Herz mit bloßen Händen herauszureißen?
„ O mein Gott, o mein Gott, o mein Gott“, hörte er Clara und er glaubte , verschwommen ihr Gesicht über sich zu sehen.
„ Was habe ich getan! Bitte … bitte sei nicht tot! Du darfst nicht tot sein.“
Dean wollte ihr versichern, dass er gesund und munter war, brachte aber nicht mehr als ein Röcheln hervor. Jeder Atemzug schien sich wie ein Dolch in seine Brust zu bohren.
„ Scht, scht. Du darfst jetzt nicht sprechen. Du bist schwer verletzt“, flüsterte sie mit bebender Stimme und er spürte, dass ihre Hand ebe n falls zitterte, als sie sanft seine verletzte Schulter berührte. Plötzlich schien es ihm, als würde der Augenblick in der Ewigkeit verharren. Claras Hand, die in seiner Wunde ruhte, tat ihm nicht weh. Im Gege n teil. Alle Schmerzen schienen wie weggeblasen und eine angenehme Wärme breitete sich in seinem Körper aus. Er spürte, wie seine Kraft zurückkehrte. Selbst die Schwellung seines Auges ließ nach, sodass er wieder richtig sehen konnte. Clara kniete neben ihm, ihren Oberkörper leicht über ihn gebeugt, den Blick angestrengt auf seine Schulter fixiert.
„ Da… danke“, brachte er krächzend hervor.
Sie schenkte ihm einen tiefen Blick aus ihre n blauen Augen. Ein schwaches Lächeln huschte über ihre Lippen. Dann fielen ihr die A u gen zu und sie sackte in sich zusammen. Ihr schlanker Körper blieb in seinen Armen liegen. Er brauchte einen Moment, um sich wieder zu fangen. Ein prüfender Blick auf seine Schulter zeigte ihm, dass sich die kla f fende Wunde vollständig geschlossen hatte. Vorsichtig bewegte er den Arm. Er verspürte keinerlei Schmerzen mehr.
„ Danke“, wiederholte er noch einmal leise und strich ihr sanft durch das Haar. Vorsichtig legte er sie auf dem Boden ab. Dann richtete er sich auf.
Ein leichter Staubnebel und der Geruch von Verbranntem lagen in der Luft. Es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass das Trümmerfeld um ihn herum die Überreste des Treppenhauses waren. Nur wenige Schritte von ihm entfernt lag der gewaltige
Weitere Kostenlose Bücher