Plötzlich Royal
Namen. Sie finden alles auf einer Karte, die diskret hinter dem Buch außer Sichtweite der Kameras abgelegt ist. Sie schreiben genau ab. Dann gehen Sie allein weiter und warten nicht auf Ihren Nachfolger. Falls auch Sie, Prince Harry, sich einmal mehr nicht an Rang und Titel erinnern können, konsultieren Sie ebenfalls die Karte, die vor jedem neuen Eintrag diskret gewechselt wird.“
Ich konnte dem gleichaltrigen, rothaarigen Prinzen gut ansehen, dass ihn die Worte des Earls genauso trafen wie mich selbst, doch von draußen hatten uns möglicherweise irgendwelche Paparazzi im Visier. Also ließen wir es über uns ergehen.
„Die Welsh Guards werden Ihnen den Weg weisen“, fuhr Earl Binnester an Simon und mich gewandt im Befehlston fort. „Außerhalb der Sichtweite der Kameras werden Sie wieder zum Wagen geleitet. Sie sprechen nichts, gar nichts, bis Sie wieder in Ihrem Wagen sitzen. Wir werden Sie erst wieder bei der Prozession und dem Trauergottesdienst in drei Tagen benötigen. Bis dahin halten Sie sich unsichtbar für die Presse und das Personal in dieser Art Hotel beziehungsweise Sie, Prince Harry, im Clarence House zur Verfügung. Guten Tag!“ Dann trat er einige Schritte beiseite.
„Frechheit! Was glaubt dieser Totengräber eigentlich? Ist das etwa die britische Höflichkeit?“, empörte sich Simon.
„Die denken, wir hätten die Queen ins Grab gebracht, weil es Camilla gibt, du schwul bist und ich ab und zu im Rattlebone Inn gezockt habe. Gelegentlich wurde auch gekifft. Manchmal war auch William da. Aber nur ich bezog Prügel von Jack Kern und Sir Geoffrey. Leider ist inzwischen auch ein etwas pubertäres Video von mir aufgetaucht und Gordon Brown hat im Parlament sein Missfallen ausgedrückt“, erzählte Harry.
Ich wusste nichts von einem Video und in dem Moment interessierte es mich auch nicht, was Harry angestellt hatte. Earl Binnester war wohl mit den Nerven am Ende. Simon wurde zum Wagen geführt, Harry und ich folgten dem Earl in das dunkle, altehrwürdige Schloss. Dort erwartete uns der König mit Prince William und weiteren Mitgliedern der königlichen Familie. Man war zu angespannt und wohl auch noch zu schockiert, um mehr miteinander zu sprechen, als sich nur gegenseitig der eigenen Trauer zu versichern. Mein Großvater erhielt ein Zeichen und schritt voran. Danach folgte ich mit neun Metern Abstand, die ich einhalten musste. Noch nie war ich mir so beobachtet und einsam vorgekommen wie hier an diesem Ort, wo wohl schon Heinrich VIII. entlanggeschritten war. Ich ertrug die starren Blicke der Garde und ignorierte die Kameras, so gut es ging.
Selbst die Kameraleute waren in Trauer gekleidet. Ich tat, was man von mir erwartete, und verneigte mich vor der aufgebahrten Queen. Gerade in diesem Moment erhob sich König George vom Kondolenzbuch. Hier war perfektes Timing Pflicht. So wurde mir von einem in Schwarz gekleideten Angestellten die nächste Seite aufgeschlagen. Ich setzte mich und schrieb das Kärtchen ab, das der Diener daraufhin vom Stapel wegzog, so dass nach mir die Prinzen mit der ebenfalls in Trauer gekleideten Kate Middleton ihren Eintrag machen konnten, während ich auf einem anderen Weg wieder nach draußen zum Wagen gelenkt wurde.
Als ich wieder im Rolls-Royce bei Simon saß, konnte ich nichts erzählen. Ich musste alles erst verarbeiten. Es herrschte Staatstrauer und viele Briten waren nicht zur Arbeit gefahren. So kamen wir ohne Verkehrsstau zügig zurück in das Hotel. Vor dem Eingang hatte sich eine Traube von Männern gebildet. Der Chauffeur hielt deshalb ein gutes Stück vom Hotel entfernt, ließ uns aussteigen und wendete eilig.
Die Männer schwiegen alle, und als ein Bobby ihnen bedeutete, eine Gasse zu bilden, taten sie es auch. Der Glatzkopf vom Vorabend, dieses Mal im Anzug, kam uns schon entgegen.
„Warum sind Sie nicht mit Ihrem Mann zum Kondolenzbuch gegangen?“
„Earl Binnester hat das verboten“, antwortete ich deutlich und ergänzte: „Die Wahrheit wird ja wohl noch ausgesprochen werden dürfen. Sie denken, wir seien am Tod der Queen schuld. Ein Schwuler in direkter Linie der Thronfolge sei für Ihre Majestät nicht mehr zu ertragen gewesen.“
„Das wissen wir nicht“, beschwichtigte Simon. Er hatte recht. Wir mussten immer daran denken, dass eines unserer Statements auf der Titelseite einer Boulevardzeitung stehen könnte. Alle Anwesenden schauten uns betroffen an und ließen uns passieren.
Kaum im Apartment, tauschte ich den Anzug gegen Jeans
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