Plötzlich Royal
wie es die Tradition verlangt.“
„Danke, Sir Wilfried. Wie reagiert der Kontinent? Dazu nun live aus Brüssel …“
Ich setzte mich zwischen Timm und Simon. Britannien war gerade in einem neuen Zeitalter angekommen. Die Ikone der Monarchie lebte nicht mehr und nun sollte ich eine Rolle spielen, die vor Kurzem noch mein Großvater eingenommen hatte? Nichts schien mir in diesem Moment absurder als dieser Gedanke. Wer war ich schon? Bloß ein Student, der nicht erwachsen werden wollte.
Skandalträchtiges Bettgeflüster
Simon und ich waren Punkt sieben die Ersten am eher spärlich ausfallenden Frühstücksbüffet. Speck, Schinken und Eier fehlten, unser Hotel hatte das Büffet offensichtlich direkt aus dem Kühlschrank zusammengestellt. Einige Zeitungen lagen jedoch herum und bei einem unbritischen Kaffee blätterte ich darin. Die Daily World zeigte ein Porträt der Queen auf schwarzem Grund und schrieb in weißen Lettern: „Sascha: In unseren Herzen wird die Erinnerung weiterleben.“
Ich freute mich nicht darüber, dass mich die Daily World als Außenstehenden so in den Mittelpunkt der Trauer rückte. Ich wusste, dass es viel besser wäre, jetzt abgesehen von den notwendigsten zeremoniellen Pflichten nicht in Erscheinung zu treten und jenen den Vortritt zu lassen, die Jahrzehnte für und mit der Queen gelebt hatten. Diese Schlagzeile würde mir Feinde im Palast machen. Aber vielleicht wollte die Daily World genau das. Wollte Jack Kern die Monarchie in einer Shakespeare-Tragödie untergehen lassen? Wenigstens hatte Sir Wilfried mich in Schutz genommen.
Simon bot zunächst an, im Hotel zu bleiben, damit der Palast sich nicht provoziert fühlen würde. Ich wusste, dass es für Simon nicht einfach war, doch der Palast ließ uns wissen, dass man uns bereits um acht abhole. Der königliche Kostümverleih – oder wie auch immer das offiziell hieß – hatte schwarze Anzüge bringen lassen. Wir mussten uns mit dem Umziehen beeilen, dann Timm bei der Rezeption abgeben, sie sollten ein wenig Acht auf ihn geben, und dann suchte auch schon der Chauffeur nach uns.
„Die Schlagzeile der Daily World bedaure ich sehr“, versicherte ich dem Fahrer, als er uns beiden die Tür des Rolls aufhielt.
„Wir im Palast lesen die Daily World nicht, Eure Königliche Hoheit! Sie werden im St. James’s Palace erwartet. Dort ist Ihre Majestät aufgebahrt“, informierte der Chauffeur kühl. Er fuhr uns unter einer grauen Wolkendecke bei trockenem Wetter entlang der an diesem Tag für den Verkehr gesperrten Mall. Es hatte sich bereits eine lange Schlange vor dem Eingang zum Gelände des St. James’s Palace gebildet. Die Leute warteten geduldig, bis die Kondolenzbücher für das Publikum freigegeben würden. Wenige Meter nach dem Eingangstor zum Clarence House und dem St. James’s Palace hielt der Wagen an und wir mussten aussteigen. Die Prinzen Harry und William kamen auf uns zu, Letzterer mit einer schwarzhaarigen Schönheit an der Hand, die er uns beiden förmlich als seine Kommilitonin Kate Middleton vorstellte. Wir sprachen ein paar kurze Worte des Bedauerns, und Sir Geoffrey kümmerte sich anschließend um das junge Paar. Bei uns blieb ein etwas untersetzter Gentleman im schwarzen Frack, den uns Prince Harry als Earl Binnester vorstellte, er vertrete Earl Amble. Der Earl war alles andere als gut drauf, das konnte ich auf den ersten Blick erkennen, und sein Handschlag fiel dementsprechend frostig aus.
„Ich bedaure die Schlagzeile, es war nicht meine Absicht, mich in den Vordergrund zu drängen.“
„Ich erkläre, was Sie zu tun haben“, begann der Earl, ohne meine Entschuldigung zur Kenntnis zu nehmen. „Sie ohne Ihren … äh … Partner – oder wie man das in Ihren Kreisen nennen mag – gehen zehn Yard hinter dem König am Spalier der Welsh Guards entlang. Wieder zehn Yard hinter Ihnen folgen der Duke of Cornwall mit Gattin sowie die Prinzen William und Harry.“
„Auch mit je zehn Schritten Abstand?“, fragte Harry.
„Nein! Sehr bedauerlich, dass Eure Hoheit bei den vielen wichtigen Terminen im Rattlebone Inn bisher keine Zeit gefunden haben, Sir Geoffreys Erklärungen zum Hofprotokoll zu lesen“, giftete der Earl gegen Harry. „Sie alle verneigen sich in der Kapelle vor der aufgebahrten Monarchin deutlich sichtbar und gehen zum Kondolenzbuch links, wenn Seine Majestät King George den Eintrag vollendet hat. Sie beginnen eine neue Seite und schreiben den Kondolenzsatz sowie Ihren vollständigen Titel und
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