Poirot Rechnet ab
hätte ich das von ihr gedacht!«
»Komm, komm, meine Liebe, nimm es nicht so tragisch«, sagte Mr Opalsen.
Ich fühlte einen leichten Druck an meinem Arm. Es war Poirot.
»Sollen wir uns nicht davonmachen, mein Freund? Ich glaube, unsere Dienste werden nicht länger benötigt.«
Aber als wir draußen waren, blieb er plötzlich stehen und bemerkte – sehr zu meinem Erstaunen:
»Ich würde mir so gern das Zimmer daneben ansehen.«
Die Tür war nicht abgeschlossen, und wir traten ein. Der Raum – ein großes Doppelzimmer – war unbewohnt. Auf den Möbeln lag dicker Staub. Mein pedantischer Freund zog eine charakteristische Grimasse und zeichnete mit dem Finger ein Rechteck auf den Tisch.
»Die Hotelführung lässt zu wünschen übrig«, bemerkte er trocken. Er starrte gedankenvoll aus dem Fenster.
»Nun?«, fragte ich ungeduldig. »Wozu sind wir eigentlich hier hereingegangen?«
Er schreckte auf.
» Je vous demande pardon, mon ami. Ich wollte nur sehen, ob die Tür auf dieser Seite wirklich verschlossen ist.«
»Sie ist verschlossen«, sagte ich.
Poirot nickte.
Er schien immer noch nachzudenken.
»Es spielt ja auch keine Rolle mehr«, sagte ich. »Der Fall ist erledigt. Ich hätte gewünscht, Sie hätten mehr Gelegenheit bekommen, zu glänzen. Aber es war eine so einfache Sache, dass selbst ein so primitiver Mensch wie der Inspektor gleich richtig tippte.«
Poirot schüttelte den Kopf.
»Die Sache ist keineswegs erledigt, mein Freund. Sie wird auch nicht erledigt sein, bevor wir nicht herausgefunden haben, wer die Perlen gestohlen hat.«
»Aber es war doch die Zofe!«
»Wieso war es die Zofe?«
»Wieso?«, stammelte ich. »Die Kette wurde doch gefunden – in ihrem Zimmer unter ihrer Matratze.«
»Tja, tja, tja!«, sagte Poirot ungeduldig. »Das waren sie doch nicht!«
»Wie?«
»Imitation, mon ami.«
Diese Feststellung verschlug mir den Atem. Poirot lächelte milde. »Der gute Inspektor versteht offensichtlich nicht viel von Perlen. Aber bald wird das große Geschrei beginnen!«
»Kommen Sie!«, rief ich und zog ihn am Arm.
»Wohin?«
»Wir müssen das doch den Opalsens sofort sagen.«
»Besser nicht.«
»Aber diese arme Frau…«
»Eh bien, diese arme Frau, wie Sie so schön sagen, wird eine viel bessere Nacht haben, wenn sie glaubt, mit ihrer Kette steht alles zum Besten.«
»Aber wenn der Dieb damit flüchtet?«
»Wie gewöhnlich reden Sie, ohne nachzudenken, mein Freund. Woher wollen Sie denn wissen, dass die Perlen, die Mrs Opalsen so sorgfältig verschlossen hatte, nicht schon die falschen waren, und dass der wirkliche Diebstahl nicht schon an einem früheren Tag stattgefunden hat?«
»Oh!«, sagte ich verwirrt.
»Ja, oh!«, sagte Poirot strahlend. »Wir fangen wieder von vorne an.«
Wir verließen das Zimmer und gingen dann bis ans Ende des Korridors. Dort hatten sich die Stubenmädchen und Diener des Stockwerks versammelt, anscheinend, um einen kleinen Vortrag unseres Stubenmädchens über seine Erlebnisse anzuhören. Sie brach mitten im Satz ab. Poirot verbeugte sich höflich wie immer. »Entschuldigen Sie mich bitte, aber ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir das Zimmer von Mr Opalsen aufschließen würden.«
Das Mädchen stand auf und führte uns den Korridor entlang. Mr Opalsens Zimmer war auf der anderen Seite des Flurs, gegenüber dem seiner Frau. Das Zimmermädchen schloss auf, und wir traten ein. Als das Mädchen gehen wollte, hielt Poirot sie auf.
»Einen Moment, bitte. Haben Sie unter Mr Opalsens Sachen je eine Karte wie diese gesehen?«
Er hielt ihr eine einfache weiße Karte aus glänzendem Papier hin. Das Mädchen betrachtete sie aufmerksam.
»Nein, Sir, eine solche Karte habe ich nicht gesehen. Aber der Diener hat mehr im Zimmer des Herrn zu tun.«
»Ach so. Vielen Dank.«
Poirot nahm die Karte wieder an sich. Das Mädchen ging hinaus. Er schien immer noch scharf nachzudenken, dann nickte er kurz und sagte: »Läuten Sie bitte dreimal für den Diener, Hastings.«
Ich läutete, die Neugier fraß mich beinahe auf. Inzwischen hatte Poirot den Papierkorb ausgeleert und sah schnell den Inhalt durch. Einen Augenblick später kam auch schon der Diener. Poirot zeigte auch ihm die Karte und richtete dieselbe Frage an ihn. Nein, der Diener hatte nie eine derartige Karte bei Mr Opalsen gesehen. Poirot bedankte sich bei ihm für die Auskunft, und der Diener zog sich etwas unwillig zurück, nicht ohne einen fragenden Blick auf den umgestülpten Papierkorb zu
Weitere Kostenlose Bücher