Poirot Rechnet ab
volle Aufmerksamkeit zu schenken.
»Nur noch eine Minute, und ich bin für Sie da, mein Freund. Ich bin gleich fertig. Dieser Fettfleck – er ist geradezu degoutant –, ich muss ihn entfernen!« Er fuchtelte mit dem Schwamm.
Lächelnd steckte ich mir eine neue Zigarette an.
»Gibt es etwas Interessantes?«, fragte ich nach einer Weile.
»Ich helfe einer – wie soll ich sagen? – ›Waschfrau‹, ihren Mann wiederzufinden. Eine schwierige Sache, erfordert viel Takt. Ich habe so das Gefühl, er wird sich nicht freuen, wenn er gefunden wird. Aber was wollen Sie? Ich für meinen Teil sympathisiere mit ihm. Er war zu vernünftig, um aus Versehen verloren zu gehen.«
Ich lachte.
»Endlich! Der Fettfleck ist weg! Ich stehe zu Ihrer Verfügung.«
»Ich wollte Sie fragen, was Sie von dem Mordversuch an McAdam halten.«
»Kindisch!«, erwiderte Poirot. »Das ist doch nicht ernst zu nehmen. Man schießt doch nicht – das verspricht doch keinen Erfolg. Das ist altmodisch.«
»Aber beinahe wäre es gelungen«, erinnerte ich ihn.
Poirot schüttelte ungeduldig den Kopf. Er wollte gerade antworten, als seine Wirtin den Kopf zur Tür hereinsteckte und uns mitteilte, dass zwei Herren unten seien, die Monsieur Poirot zu sehen wünschten.
»Sie wollten ihren Namen nicht nennen, Sir, aber sie sagten, es sei sehr wichtig.«
»Führen Sie die Herren herauf«, sagte Poirot und faltete vorsichtig seine grauen Hosen.
Wenige Minuten später wurden die beiden Besucher hereingeführt, und mein Herz machte einen Sprung, als ich in dem ersten Lord Estaire, den Führer des Unterhauses, erkannte; sein Begleiter, Mr Bernard Dodge, war auch ein Mitglied des Kriegskabinetts und wie ich wusste – ein persönlicher Freund des Premierministers.
»Monsieur Poirot?«, sagte Lord Estaire fragend. Mein Freund verbeugte sich. Der kräftige Mann sah mich an und zögerte. »Meine Angelegenheit ist privat.«
»Sie können offen vor Captain Hastings sprechen«, sagte mein Freund und nickte mir zu. »Sehr begabt ist er zwar nicht, aber für seine Diskretion stehe ich ein.«
Lord Estaire zögerte noch immer, aber Mr Dodge sagte hastig: »Oh, machen Sie doch nicht solche Umstände! Die Zeit drängt. Bald wird ganz England wissen, in welch schrecklicher Situation wir uns befinden.«
»Bitte setzen Sie sich, meine Herren«, sagte Poirot höflich. »Wollen Sie nicht den großen Sessel nehmen, Mylord?«
Lord Estaire starrte ihn an. »Sie kennen mich?«
Poirot lächelte. »Gewiss, ich lese die Zeitungen mit den Bildern. Warum sollte ich Sie nicht kennen?«
»Monsieur Poirot, ich bin gekommen, um Sie in einer sehr dringenden Angelegenheit um Rat zu fragen. Ich muss Sie um absolute Diskretion bitten.«
»Sie haben das Wort von Hercule Poirot – mehr kann ich nicht sagen.«
»Es handelt sich um den Premierminister. Wir sind in großer Sorge.«
»Wir sitzen bös in der Klemme!«, fügte Mr Dodge bei.
»Die Verletzung ist also doch ernster Natur?«
»Welche Verletzung?«
»Die Verletzung durch die Kugel.«
»Oh, das meinen Sie!«, rief Mr Dodge verächtlich. »Das ist eine alte Sache.«
»Wie mein Kollege sagte«, fuhr Lord Estaire fort, »diese Sache ist erledigt. Glücklicherweise verfehlte die Kugel ihr Ziel. Ich wünschte, man könnte Ähnliches vom zweiten Versuch auch sagen.«
»Ein zweiter Versuch?«
»Ja. Aber auf andere Art. Monsieur Poirot, der Premierminister ist verschwunden.«
»Was?«
»Er ist entführt worden!«
»Unmöglich!«, rief ich bestürzt.
Poirot warf mir einen Blick zu – ich wusste genau, er wollte damit sagen, ich solle den Mund halten.
»Unglücklicherweise ist es nur zu wahr!«, fuhr Seine Lordschaft fort.
Poirot sah Mr Dodge an. »Sie sagten, Monsieur, die Zeit drängt. Was haben Sie damit gemeint?«
Die zwei Herren wechselten Blicke, dann sagte Lord Estaire: »Monsieur Poirot, Sie haben sicher schon von der bevorstehenden Konferenz der Alliierten gehört?«
Mein Freund nickte.
»Aus begreiflichen Gründen wurden keine Details bekannt gegeben, wann und wo sie stattfinden soll. Aber obwohl es nicht in den Zeitungen gestanden hat, ist das genaue Datum in diplomatischen Kreisen bekannt. Die Konferenz soll morgen stattfinden – Donnerstagabend in Versailles. Jetzt werden Sie den furchtbaren Ernst der Lage verstehen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass die Anwesenheit des Premierministers unbedingt notwendig ist. Es ist allgemein bekannt, dass die starke Persönlichkeit des Premierministers von
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