Poirot Rechnet ab
lebenswichtig. Auf das Gehirn, die kleinen grauen Zellen« – er klopfte seine Stirn – »muss man sich verlassen. Die Sinne lassen sich täuschen.«
»Sie wollen doch nicht damit sagen, Monsieur Poirot, dass Sie sich zutrauen würden, einen Fall zu lösen, ohne sich aus Ihrem Stuhl zu erheben, oder doch?«
»Genau das wollte ich sagen – vorausgesetzt allerdings, dass ich im Besitz der einschlägigen Tatsachen bin. Ich betrachte mich als beratender Spezialist!«
Japp schlug sich aufs Knie. »Ich fress einen Besen, wenn ich Sie nicht beim Wort nehme. Ich wette fünf Pfund, dass Sie innerhalb einer Woche Mr Davenheim weder tot noch lebendig ausfindig machen können.«
Poirot überlegte. »Eh bien, mon ami, ich nehme die Wette an. Sport ist ja große Passion von euch Engländern. Jetzt, mein lieber Japp, zu den Tatsachen.«
»Letzten Samstag nahm Mr Davenheim wie gewöhnlich den Zwölf-Uhr-vierzig-Zug von der Viktoria-Station nach Chinnside. Dort liegt sein Landsitz Die Zedern. Nach dem Lunch ging er in den Park und gab seinem Gärtner noch verschiedene Anweisungen. Wie jedermann bestätigt, war er völlig normal. Nach dem Tee warf er kurz einen Blick in das Boudoir seiner Frau und sagte ihr, er ginge ins Dorf und wolle einige Briefe zur Post bringen. Er fügte noch hinzu, er erwarte Geschäftsbesuch, einen Mr Lowen. Käme der Herr, bevor er zurück sei, solle man ihn in sein Arbeitszimmer führen. Mr Davenheim verließ dann das Haus durch den Haupteingang, schlenderte gemütlich die Auffahrt hinunter, aus dem Tor hinaus und – wurde nicht mehr gesehen. Und seither ist er verschwunden.«
»Hübsch – sehr hübsch –, ein reizendes kleines Problem!«, murmelte Poirot. »Fahren Sie fort, mein guter Freund.«
»Ungefähr eine Viertelstunde später läutete ein großer, dunkelhaariger Mann und erklärte, dass er eine Verabredung mit Mr Davenheim habe. Sein Name war Lowen, und er wurde, wie Mr Davenheim gebeten hatte, in dessen Arbeitszimmer geführt. Es verging fast eine Stunde, und der Bankier kam nicht zurück. Schließlich läutete Mr Lowen und sagte, dass er nicht länger warten könne, da er den Zug nach London erreichen müsse. Mrs Davenheim entschuldigte die Abwesenheit ihres Gatten, die auch ihr unerklärlich schien, weil sie wusste, dass er den Besucher erwartet hatte. Mr Lowen wiederholte sein Bedauern und ging fort.
Wie gesagt, Mr Davenheim kehrte nicht zurück. Am Sonntagmorgen wurde die Polizei benachrichtigt, die sich aber kein rechtes Bild von der Sache machen konnte. Mr Davenheim schien sich buchstäblich aufgelöst zu haben.
Man hatte ihn weder auf der Post noch im Dorf gesehen. Die Bahnbeamten erklärten mit aller Bestimmtheit, er habe keinesfalls einen Zug benützt. Sein eigener Wagen stand in der Garage. Hätte er ein Taxi gemietet, um ihn an irgendeinem einsamen Platz abzuholen, dann hätte sich angesichts der ausgesetzten Belohnung in der Zwischenzeit bestimmt der Fahrer gemeldet. In Entfield war zwar ein kleines Rennen gewesen. Wäre er zu Fuß zum Bahnhof gegangen, hätte er möglicherweise in der Menge untertauchen können. Aber nachdem sein Bild nebst genauer Personenbeschreibung in jeder Zeitung erschienen war, hätte sich wohl irgendjemand an ihn erinnern müssen. Natürlich haben wir daraufhin aus ganz England Briefe erhalten, aber alle Hinweise waren enttäuschend.
Am Montagmorgen wurde noch eine andere sensationelle Entdeckung gemacht. Hinter einem großen Vorhang in Mr Davenheims Arbeitszimmer steht ein Safe. Dieser war aufgebrochen und ausgeraubt worden. Die Fenster des Zimmers waren von innen geschlossen, was einen normalen Einbruch ausschließt, falls nicht innerhalb des Hauses ein Komplize war, der sie nachträglich wieder schloss. Andererseits war der Haushalt begreiflicherweise durcheinander geraten, und es ist möglich, dass der Diebstahl schon am Samstagabend begangen und erst am Montag entdeckt wurde.«
»Précisement«, sagte Poirot trocken. »Nun, haben Sie den armen Monsieur Lowen schon verhaftet?«
Japp grinste. »Noch nicht. Aber er steht unter strenger Beobachtung.«
Poirot nickte. »Haben Sie eine Ahnung, was aus dem Safe genommen worden ist?«
»Wir sind zusammen mit dem Juniorpartner der Bank und Mrs Davenheim der Sache nachgegangen. Anscheinend Namensaktien und eine sehr große Geldsumme aus einer Transaktion, die gerade durchgeführt worden war. Auch ein kleines Vermögen an Schmuck – praktisch wurden alle Juwelen von Mrs Davenheim in dem Safe
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