Poirots erste Fälle
Recht. Er ist klein genug. Es ist Rot-Narky.«
»Wer ist Rot-Narky?«, fragte ich.
»Ein besonders raffinierter Juwelendieb, der auch vor einem Mord nicht zurückschreckt. Arbeitet gewöhnlich mit einer Frau zusammen – Gracie Kidd. Aber sie scheint diesmal nicht dabei zu sein, oder sie ist mit dem Rest der Beute nach Holland abg e dampft.«
»Haben Sie Narky verhaftet?«
»Natürlich. Aber wohlgemerkt, es ist der andere, den wir fassen wollen, der Mann, der in Mrs Carringtons A b teil war. Der hat nämlich den ganzen Anschlag g e plant. Leider verrät Narky keinen seiner G e nossen.«
Es fiel mir auf, dass Poirots Augen ganz grün gewo r den waren.
»Ich glaube«, sagte er leise, »ich weiß, wo Narkys Koll e ge steckt.«
»Mal wieder eine Ihrer kleinen Ideen, wie?« Japp warf Poirot einen scharfen Blick zu. »Geradezu wu n dervoll, wie Sie manc h mal den Kram schmeißen! Und dazu noch in Ihrem Alter! Reines Glück natü r lich.«
»Vielleicht, vielleicht«, murmelte mein Freund. »Ha s tings, meinen Hut. Und die Bürste. So! Meine Gal o schen, wenn es noch regnet! Wir dürfen die gute Wi r kung der tisane nicht aufheben. Au revoir, Japp!«
»Viel Glück, Poirot.«
Poirot nahm das erste Taxi, das uns begegnete, und nannte dem Fa h rer die Adresse in der Park Lane.
Kaum hielten wir vor Hallidays Haus, da sprang er schon behände aus dem Wagen, bezahlte den Chau f feur und zog die Gl o cke. Mit dem Diener, der die Tür öffnete, verhandelte er im Flü s terton, und wir wurden sofort nach oben geführt. Wir kletterten bis ins oberste Stockwerk, wo man uns in ein kleines, sauberes Schlafzimmer brac h te.
Poirots Blicke schweiften im Zimmer umher und bli e ben schließlich auf einem kleinen schwarzen Koffer ha f ten. Er kniete davor nieder, prüfte die Schlösser und zog schließlich einen kleinen, gebogenen Draht aus der T a sche.
»Fragen Sie Mr Halliday, ob er die Güte haben will, zu mir herau f zukommen«, sagte er über die Schulter hinweg zum wartenden Di e ner.
Sobald der Diener gegangen war, hantierte Poirot mit geübter Hand am Schloss herum. In wenigen Minuten gab es nach, und er hob den Deckel. In großer Hast zog er ein Kleidungsstück nach dem anderen aus dem Koffer und warf alles kunterbunt auf den Fußboden.
Ein schwerer Schritt ließ sich auf der Treppe verne h men. Im näch s ten Augenblick trat Halliday ins Zimmer.
»Zum Teufel, was machen Sie da?«, fragte er, und die Augen traten ihm vor Staunen fast aus dem Kopf.
»Monsieur, ich suchte – dies!« Damit zog Poirot e i nen Mantel und Rock aus hellblauer Wolle und ein kleines Barett aus weißem Fuch s pelz hervor.
»Was machen Sie denn mit meinem Koffer?«, ertö n te eine Stimme aus dem Hintergrund. Ich drehte mich um und sah, dass Jane Mason soeben ins Zimmer gekommen war.
»Schließen Sie bitte die Tür, Hastings. Ja, und ste l len Sie sich mit dem Rücken dagegen. Mr Halliday, ich möchte Sie bekannt machen mit Gracie Kidd, alias Jane Mason, die unter den Fittichen von I n spektor Japp dahin geführt wird, wo ihr Komplice Rot-Narky bereits ihrer harrt.«
Poirot machte eine abwehrende Handbewegung. »Es war höchst ei n fach.« Und er nahm eine zweite Portion Kaviar.
»Zuerst fiel mir auf, dass die Zofe von selbst das G e spräch auf die Kleidung ihrer Herrin brachte. Warum wollte sie mit aller Gewalt unsere Aufmerksamkeit da r auf lenken? Dann fragte ich mich, ob der geheimnisvo l le Mann im Abteil nicht ein Produkt ihrer Fantasie war; denn nur sie hatte ihn gesehen. Nach den Au s sagen des Arztes konnte Mrs Carrington ebenso gut auf der Strecke vor Bristol ermordet wo r den sein. In diesem Falle lag es natürlich in ihrem Interesse, ihre Au s sagen durch andere bestätigen zu lassen. Die Kleidung, die Mrs Carrington trug, war sehr auffa l lend. Eine Zofe kann gewöhnlich ihre Herrin bei der Wahl ihrer Toilette sehr beeinflussen. Wenn nun j e mand eine Dame in stahlblauem Mantel und Rock und weißer Pelzmütze bei Bristol ges e hen hat, wird er bereitwilligst schwören, dass es Mrs Carrington gew e sen ist. Ich begann, das Verbrechen zu reko n struieren: Die Zofe beschafft sich zunächst mal dieselbe Kleidung wie ihre He r rin. Sie und ihr Komplice chloroformieren und erstechen dann Mrs Carrington auf der Strecke zw i schen London und Bristol, wah r scheinlich in einem für solche Zwecke günstigen Tunnel. Die Leiche wird unter den Sitz g e schoben, und die Zofe spielt fortan die Rolle der He r rin. In Weston muss sie
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